Vom Acker bis zum Teller

Die Regionalwert AG Hamburg hat sich die Vision einer sozialen, ökologischen und kooperativen Landwirtschaft auf die Fahne geschrieben. Von Kirsten Sulimma

Eine Region, die sich mit guten, regionalen Lebensmitteln selbst versorgen kann und gleichzeitig kleinere Betriebe mit hohen sozialen und ökologischen Standards unterstützt. Paradiesische Zustände, oder? Genau da setzt die Idee der Regionalwert AG an. Das Ziel von Initiator Christian Hiß: ein Netzwerk vom Acker bis zum Teller, das heißt vom Bauernhof und Lebensmittelverarbeiter über den Händler bis zum Gastronomiebetrieb. Der Bio-Bauer und Gärtnermeister gründete 2006 die Regionalwert AG Freiburg. Inzwischen gibt es weitere Regionalwert AGs in den Regionen Isar-Inn, Rheinland, Berlin-Brandenburg und eben in Hamburg. Über die Regionalwert Treuhand arbeiten die Organisationen eng zusammen.
Malte Bombien und Ulf Schönheim
Die Herren vom Vorstand: Malte Bombien (links) und Ulf Schönheim

Verantwortung übernehmen

Die Regionalwert AG Hamburg ist eine eigenständige Bürger AG für Schleswig-Holstein, das westliche Mecklenburg und die Metropolregion Hamburg. Sie wurde 2014 von Bürgern, Landwirten und Organisationen gegründet, darunter De Öko Melkburen, Voelkel Fruchtsäfte oder Budnikowsky.

Getragen wird dieses System von Bürger-Aktien, die die AG regelmäßig ausgibt. Bei der Regionalwert AG Hamburg kostet eine Aktie beispielsweise 550 Euro. „Mit den Regionalwert-Aktien übernehmen die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung für ihre Region“, so Regionalwert AG Hamburg Vorstand Ulf Schönheim. „Sie werden Miteigentümer des Regionalwert-Netzwerks, das für Natur-, Arten- und Klimaschutz steht.“ Mittlerweile haben sich rund 1.200 Aktionäre an der Regionalwert AG Hamburg beteiligt. Darunter auch die Bewegungsstiftung und die Umweltstiftung Greenpeace – als derzeit größter Einzelaktionär. Der Vorstand besteht aus Ulf Schönheim und Malte Bombien.

Partnerbetriebe stärken

Das Geld investiert die AG als Eigenkapital in regionale Betriebe, wie zum Beispiel Anfang des Jahres in die Nudelschmiede Hechthausen GmbH. Geschäftsführerin Beate Adler betreibt in Stade ein Ladengeschäft mit eigener Nudelproduktion. Ihre ausgefallenen Kreationen wie Zitronengras-, Schokoladen- oder Liebstöckelnudeln wurden bisher in einem an das Ladengeschäft angrenzendem Produktionsraum hergestellt, getrocknet und abgefüllt. Das Geschäft läuft sehr gut, Beate Adler kann gar nicht so viel produzieren, wie sie verkaufen könnte. Mit den Mitteln der Regionalwert AG Hamburg hat sie in Hechthausen (Landkreis Cuxhaven) eine alte Bäckerei gekauft, die jetzt renoviert und zu einer neuen Produktionsstätte ausgebaut wird. Schönheim: „Die neue Produktionsstätte wird für Wertschöpfung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum sorgen, was ja erklärtes Regionalwert-Ziel ist.“

Regionale Versorgung ist krisenfester

Auch an den Betrieben der Regionalwert AG Hamburg geht die Corona-Krise natürlich nicht spurlos vorbei, doch man zeigt sich ideenreich. Der Austausch und die gegenseitige Unterstützung sind laut Schönheim in diesen Zeiten besonders wertvoll. So war auch eine Idee schnell geboren: Die Betriebe aus dem Netzwerk der Regionalwert AG Hamburg bündeln ihre Produkte und liefern sie den Bürgerinnen und Bürgern nach Hause. Dies passiert mit der Grundversorgungskiste „Liekedeeler“ – Plattdeutsch für „Gleichteiler“ und ein anderer Name der Freibeuter um Klaus Störtebeker, die der Sage nach ihr Beutegut solidarisch untereinander aufteilten. Initiiert wurde die Aktion durch Georg Neubauer, Geschäftsführer des Hamburger Startups und Regionalwert-Partners Blattfrisch. Mit „Regionale Zukunft“ entstand in kürzester Zeit eine neue Plattform, auf der Landwirte, Lebensmittelverarbeiter, Gastronomen und Händler ihre Erzeugnisse und Ressourcen bündeln, um die Menschen direkt mit ihren Produkten zu beliefern. „Regionale, möglichst ökologische Ernährung ist krisenfester. Gerade in der Nahrungsmittelversorgung müssen kurze Lieferwege den Vorzug vor globalen, intransparenten Warenströmen haben“, so Schönheim.

In den Kisten sind Grundnahrungsmittel wie Brot, Milchprodukte und Kartoffeln. Dazu kommt saisonales Gemüse sowie Äpfel, Saft und fertige Gerichte wie Salate, Suppen oder Eintöpfe im Glas. Ergänzend können weitere Produkte wie Butter, Nudeln, Getreide, Haferflocken und Bier bestellt werden. Der Erfolg spricht für sich, die Kiste ist regelmäßig ausverkauft.

Ulf Schoenheim und Georg Neubauer
Krisenfest: die Grundversorgungskiste „Liekedeeler“, präsentiert von Regionalwert-Vorstand Ulf Schönheim (links) und Initiator Georg Neubauer vom Hamburger Startup Blattfrisch
Aufschnitt vom Pauli Biohof
Regionaler geht’s nicht: Aufschnitt von Highland-Rindern vom Pauli Biohof aus der Region Stapelholm

Auf Erfolgskurs

Im April beendete die Regionalwert AG Hamburg ihre vierte Aktienausgabe. Gut 400 Aktionärinnen und Aktionäre erwarben 1.695 neue Aktien für insgesamt 932.250 Euro. Die Aktionärszahl stieg auf rund 1.200. Die Umweltstiftung Greenpeace hat sich Aktien im Ausgabewert von rund 200.000 Euro gesichert. Insgesamt hält die Stiftung jetzt 763 Aktien an der Regionalwert AG Hamburg. In ihrer Gesamtheit kann die AG nun 5.735 ausgegebene Aktien und ein Grundkapital von rund 2,9 Millionen Euro vorweisen. Das investierte Eigenkapital in acht Betrieben liegt bei rund einer Million Euro. Weitere Investitionen sind in Vorbereitung. Finanzielle Ausschüttungen an die Aktionäre gibt es im Moment noch nicht: „Der Aufbau des Netzwerks und die Sicherung der sozialen und ökologischen Grundlagen der regionalen Land- und Lebensmittelwirtschaft haben Vorrang“, erklärt Schönheim. „Die Aktionäre bekommen aber direkten Kontakt zu Landwirten, Lebensmittel-Handwerkern, Händlern sowie Gastronomen und sorgen mit ihrer Beteiligung für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, mehr ökologisch erzeugte Lebensmittel und regionale Ernährungssouveränität.“

www.regionalwert-hamburg.de

Fotos: Regionalwert AG Hamburg, Bertold Fabricius

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