Für eine neue Kultur des Konsums

Ein Kommentar aus der ECO BEACH-Redaktion von Christian Caravante.

Die Coronakrise wirft gerade nicht nur Licht auf die Art, wie viele Menschen arbeiten (müssen), auf unser Schulsystem oder die immer schon fragilen Einkommensverhältnisse in der Gastronomie, sondern auch auf längst bekannte, ungut nachhaltige Probleme unseres Lebensmittelkonsums.

Corona hat die Zustände in deutschen Schlachthäusern oder in den Treibhäusern von Almeria in Spanien oder die Arbeitsbedingungen hunderttausender Erntehelfer in Deutschland, ohne die es kaum Spargel und auch keinen Wein dazu gäbe, nochmals deutlich gemacht.

Monokulturen
Monokulturen bestimmen die globale Landwirtschaft
Die Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft, die vorherrschenden Monokulturen, unser grotesker Fleischkonsum und das Artensterben von enormen Ausmaß gehört sowohl zum Klimawandel wie zur aktuellen Coronakrise – sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

Die Corona-Infektionswelle mag in einem Jahr ausgestanden sein, die Nachwirkungen der Krise werden uns aber noch viele Jahre beschäftigen. Beim Bemühen, Pandemien zu verhindern, wird man auf Maßnahmen setzen, die auch in der Klimapolitik eine Rolle spielen. Denn der Verlust der biologischen Vielfalt, Dürren, Überflutungen, die industrielle Landwirtschaft und ihre Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen, Tiere und Böden und eben das Aufkommen ganz neuer Erreger sind miteinander verwoben.

„Das Wirtschafts- und Wertesystem, das auf der Ausbeutung der Natur, ihrer nicht-nachhaltigen Nutzung beruht, wird scheitern. Jetzt wissen wir es sogar in der westlichen Welt: Ganz gleich, ob das neue Coronavirus nun über Schuppentiere, Fledermäuse oder andere Kreaturen zum Menschen kam, wir müssen neu definieren, wie wir uns zur Natur stellen. Es ist an Zeit zu begreifen, der Mensch ist und bleibt Teil der Natur und ist für sein Überleben elementar auf sie angewiesen. Wir brauchen einen Wertewandel – für Natur.“ Das schrieb Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin und Professor für Biodiversität und Wissenschaftsdialog an der Humboldt-Universität, im Tagesspiegel. Bei diesem „Wertewandel“ gehe es dann auch darum, wie wir Lebensmittel produzieren, kaufen und konsumieren. Und wie wir das – mit Blick auf Klima und Gesundheit – besser tun können.

Der Gestaltungsraum der EU gestattet längst Kontrollmöglichkeiten

Was könnte man denn tun? Zum einen könnte man das Fachwissen und die Kompetenzen deutscher und europäischer Landwirte nutzen, um die Landwirtschaft Europas – wie man es ja jetzt auch für Medizinforschung und Herstellung und das Gesundheitssystem plant – in gewissem Umfang autark werden lassen. Autarkie bedeutet Kontrollmöglichkeiten: Kontrolle über Anbau- und Aufzuchtmethoden, über die Regeln in Sachen Bezahlung und Arbeitsschutz für diejenigen, die dort arbeiten, Kontrolle über Transportwege, Transportmethoden, aber auch Kontrolle über die Glaubwürdigkeit von Biosiegeln und darüber, wo und wie und zu welchem Preis Lebensmittel verkauft werden. Das alles ist ja im Gestaltungsraum der EU längst möglich, wird ja auch schon gemacht: Allerdings nicht in Richtung bio, regional, vielfältig und nachhaltig, sondern in Richtung wettbewerbsfähig, maximale Effizienz und Ertrag.

Die ewige Debatte – nicht nur in Deutschland – dreht sich dabei um den Preis für Lebensmittel. Er spielt natürlich eine Rolle. Und er muss und wird höher sein, wollen wir eine klimafreundliche, nachhaltige und gesundheitsorientierte Landwirtschaft. Der Preis ist dabei allerdings ein Unteraspekt der notwendigen neuen Kultur des Konsums. Corona, der Klimawandel, das Artensterben, die bekannten gesundheitliche Probleme und, gern vergessen, auch das Bedürfnis vieler Menschen nach Qualität und Genuss – all das zahlt auf den Klimaschutz und die Verhinderung zukünftiger Pandemien ein, schafft Wohlstand und bessere Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion und führt zu höherer Qualität, besserem Geschmack, mehr Arbeitsplätzen und glücklicheren Menschen. Ja, glücklicher. Auch wenn sie im Supermarkt mehr zahlen.

Zustände im Schlachthaus
Neuerdings im Fokus: Zustände im Schlachthaus
kleinteilige Landwirtschaft
Die EU könnte auch die kleinteilige Landwirtschaft fördern – tut sie aber nicht

Wenn Lebensmittel teurer würden …

Wenn Lebensmittel teurer würden, könnten wir Kosten an anderen Stellen einsparen. Kosten, die die Gesellschaft schon heute zahlt – nur eben nicht an der Supermarktkasse. Regierungen wollen sozialen Frieden und sorgen über steuerliche Bevorteilung, Subventionen und allerlei umwelt- und wirtschaftspolitische Entscheidungen dafür, dass wir für Ernährung recht wenig Geld ausgeben müssen (in der EU durchschnittlich nur zwölf bis 13 Prozent des Haushaltsbudgets). Würden die sozialen und umweltpolitischen und die Gesundheitskosten allerdings miteinbezogen, würden wir eher 25 bis 30 Prozent unseres Budgets für Nahrung ausgeben. Aufgrund der enormen sozialen Einkommensunterschiede zwischen und auch in vielen europäischen Ländern ist das politisch nicht vermittelbar. Deswegen unterstützt die Politik weiter die „wettbewerbsfähigsten“ Landwirte, das heißt maximal groß, maximal günstig und maximal effektiv. Mit allen bekannten Nebenwirkungen wie ausgelaugten Böden, Pestizideinsatz, Maschinisierung, Erosion, enormem Wasserverbrauch, Glyphosat, Nitrat, weiten Transportwegen, Abholzung und so weiter. Diese Großbetriebe, ihre Interessenvertreter und die Konzerne (nein, keine Verschwörung, sondern einfach Kapitalismus) nehmen natürlich auch Einfluss auf die Politik. Unternehmen wie Nestlé oder Monsanto stellen aber überhaupt keine Lebensmittel her, sondern verkaufen Methoden und Materialien zur Herstellung. Die besten Methoden für eine Landwirtschaft, die das Gegenteil von nachhaltig und bio und divers ist.

Industrielle landwirtschaftliche Betriebe sind gut darin, Geld zu machen, aber schlecht darin, Nahrung anzubauen. Die Produktivität von kleinen und Kleinstbetrieben ist höher. Es muss dort aber mehr gearbeitet werden, die Herstellung ist teurer und aufwändiger. Aber dann auch nachhaltiger, gesünder, vielfältiger und besser für diejenigen, die die Produkte erzeugen und die, die sie kaufen.

Unsere Rolle in der Natur

70 bis 75 Prozent unserer Nahrungsmittel werden in Kleinbetrieben erzeugt. Sehr produktive Kleinbetriebe meist. Die anderen 25 Prozent bestehen aus großen Mengen an landwirtschaftlichen Rohstoffen und sind meist keine Nahrung für Menschen, sondern Tierfutter oder Biotreibstoff. Für die Tiere, die wir in zu großen Mengen essen wollen, und deren Transport werden Rohstoffe verbraucht und das Klima erwärmt. Diese Produktion beansprucht viel Land und Wasser, verursacht Folgeschäden von ausgelaugten Böden bis Insektensterben. Alles komplex und bekannt und stabil.

Es geht also an der Supermarktkasse oder beim Gang über den Markt oder eben dem Einkauf beim Bauern jedes Mal darum, welche Bedeutung wir unserer oben erwähnten „Rolle in der Natur“ und damit unserer Ernährung und dem Umgang mit dem Boden und den Tieren zusprechen. Eigentlich geht es sogar darum – Achtung Pathos – wie wir als Menschen leben wollen auf diesem Planeten. Ein Planet, der, wie Alexander von Humboldt schrieb, ein riesiger Organismus ist, in dem alles mit allem in Verbindung steht.

Wir brauchen offenbar immer wieder einen Schlag in den Nacken wie jetzt bei Corona oder der nächsten Dürre/Überschwemmung, um uns zu erinnern, dass nicht unsere wirtschaftliche Globalisierung, sondern die Natur die erste und wichtigste globale Kraft ist.

Apfelernte
Landwirtschaft – am besten regional, vielfältig und nachhaltig

Weiterführende Links

Zu den tatsächlichen bzw. nötigen Preisen für Nahrungsmittel eine 45-minütige Reportage der SWR-Wissenschaftssendung Odysso.

Zum enormen Artensterben und zur globalen Biodiversitätspolitik hätte es im Oktober die Weltnaturschutzkonferenz in Kunming/China geben sollen. Sie wurde auf 2021 verschoben.

Von 2016, aber nach wie vor eine Empfehlung: „Tomorrow“, eine sehr gelungene Filmdokumentation über innovative Konzepte in der Landwirtschaft, Stichwort Agrarökologie und Permakultur, solidarische Landwirtschaft, Foodsharing und urbanes Gärtnern.

Fotos: „Monokulture“ flockine/Pixabay; „Zustände im Schlachthaus“ Jay79/Pixabay; „regional, vielfältig und nachhaltig“ lumix2004/Pixabay; „kleinteilige Landwirtschaft“ Zoe Schaeffer/Unsplash

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