„Köche haben die Macht, etwas zu ändern“

Euro-Toques und Sarah Wiener rütteln die Branche auf, Euro-Toques verabschieden neues Zehn-Punkte-Manifest für 2021.

„Allein die Gastronomie macht 93 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr im gesamten Lebensmittelhandel Deutschlands. Zum Vergleich: 125 Milliarden entfallen auf die Endverbraucher. Wir Köche haben also die Macht, Einfluss darauf zu nehmen, welche Produkte letztendlich auf dem Teller unserer Gäste landen.“
Konrad Geiger
Euro-Toques-Präsident Konrad Geiger und EU-Abgeordnete Sarah Wiener fordern eine ökologische Landwirtschaft und Neuordnung der Lieferketten
Konrad Geiger, Präsident der Euro-Toques Deutschland, forderte mit diesen Worten auf dem Kongress „Zukunft Gastronomie“ in Essen nicht nur die Mitglieder seines Netzwerks, sondern auch alle anderen Kollegen auf, noch viel deutlicher Verantwortung zu übernehmen für Qualität, Nachhaltigkeit und authentischen Genuss.

Wiener: Kochberuf vom Aussterben bedroht

Unterstützt wurde er von Sarah Wiener, die als EU-Angeordnete und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) live zugeschaltet war: „Bisher waren wir Gastronomen vor lauter Business und dem Bemühen, Gäste glücklich zu machen, nicht besonders laut“, stellte sie fest. „Und wir haben uns nicht bewusst gemacht, dass wir es sind, die die Kompetenz haben, hier etwas zu verändern. Dass wir es sind, die unmittelbar mit den Produkten und mit der Landwirtschaft verbunden sind!“

 

Gleichzeitig stellte die Köchin und Politikerin aber auch klar, dass den KöchInnen nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, einen echten Wandel zu bewirken: „Wir stehen an dritter Stelle der Berufe, die vom Aussterben bedroht sind. Das werden wir nicht verhindern, wenn wir es nicht schaffen, dass wir bei unseren Gästen für die Liebe zum Produkt und zum Beruf, für die Gastfreundschaft und für Qualität, und damit für das Besondere, stehen.“ Dabei betonte sie, dass Qualität nicht bei „Frische“ anfängt, sondern vielmehr bei der Tierhaltung, der Schlachtung, bei der Bodenbearbeitung, der Behandlung der Pflanzen im Wachstum.

Gesunde Ernährung und Esskultur

Die Euro-Toques (großes Foto) verabschiedeten nach dieser Konferenz ein Manifest, in dem sie – auf Basis ihres seit über 30 Jahren bestehenden europäischen Ehrenkodex – ihre Mitglieder, aber auch alle anderen KöchInnen dazu auffordern, zu handeln. Sich mit Mut, Leidenschaft und dem Bewusstsein für die eigene Macht dafür einzusetzen, Qualität, gesunde Ernährung und Esskultur wieder zu zentralen Themen unserer Gesellschaft zu machen. Es muss wieder über diese zentralen Anliegen gesprochen werden und sie müssen gelebt werden. Wir veröffentlichen das Zehn-Punkte-Manifest der Euro-Toques im Wortlaut.

Sarah Wiener © Sarah Wiener Stiftung | Christian Kaufmann
Manifest der Euro-Toques Deutschland für das Jahr 2021
  • Köche haben die Macht, Gamechanger zu sein. Gamechanger für einen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln: von der Produktion und dem Umgang mit Produzenten und Handel bis hin zum Handwerk auf dem Teller und der Kommunikation mit dem Gast.
  • Wir sind nicht machtlos den Angeboten des Handels ausgeliefert.
  • Wir Köche müssen Vorbilder sein – für unseren Nachwuchs ebenso wie für unsere Gäste.
  • Wir schützen das Handwerk des Kochberufes.
  • Wir suchen aktiv die Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten. Gleichzeitig fordern wir vom Handel die aktive Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten, die sich den Themen nachhaltige Produktion, artgerechte Tierhaltung, Schonung der Ressourcen und Vielfalt des Genpools verpflichtet fühlen.
  • Wir setzen Handwerk und bewussten Umgang mit Produkten auf unseren Speisekarten um. Dies gelingt uns, indem wir vermehrt Produkte aus regionaler landwirtschaftlicher Produktion, aber auch ganze Tiere verarbeiten. Indem wir dies machen, geben wir gleichzeitig das Wissen auch um diesen Teil unseres Handwerks weiter.
  • Wir akzeptieren keine Ausreden mehr und fangen mit den ersten Schritten sofort an.
  • Dazu gehört auch, eine Esskultur jenseits von Fast Food und Robotik hochzuhalten und dem Gast an gedeckten Tischen und mit individuellem Service ein echtes Genuss-Erlebnis zu schenken. So erhalten wir auch die Gastronomie als unverzichtbaren Teil unseres sozialen Lebens.
  • Wir kommunizieren mit allen Beteiligten (Produzent, Handel, Mitarbeiter, Gast), weil WIR es sind, die im Zentrum eines Kreislaufs von Produktion und Konsum stehen.
  • Wir als Euro-Toques vertreten dies seit Jahren über unseren Ehrenkodex. Wir wollen uns aber mit allen Verbänden unseres Berufsstandes zusammentun – um gemeinsam eine starke Stimme zu entwickeln. Wir beginnen diese Reise jetzt.

www.eurotoques-deutschland.de

Fotos: Michael Alisch, Peter Erik Hillenbach, Christian Kaufmann

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