Geduld und Demut

Die Permakultur Bonnekamphöhe in Essen ist ein Ort des gemeinschaftlichen ökologischen Gärtnerns und ein Projekt, das Perspektiven schafft. Wir sprachen mit Initiator Hubertus Ahlers über seine Arbeit und über Alternativen zur aktuellen landwirtschaftlichen Situation. Von Kirsten Sulimma

Essen-Katernberg – ein Stadtteil im tiefsten Ruhrgebiet. Mittendrin: die Permakultur Bonnekamphöhe. Während draußen das urbane, multikulturelle Leben tobt, ist das drei Hektar große Gelände ein geradezu idyllischer Ort mit Wildblumenwiese, Teich und Feldern für den Gemüseanbau.

Jeder ist eingeladen, Beete anzulegen, sich mit anderen auszutauschen oder einfach nur über das Gelände zu spazieren. Workshops finden regelmäßig statt, Schulen und Kindergärten kommen vorbei und die Bonnekamphöhe ist zudem Außenstelle für das Uniprogramm der Biologie-Lehramtler.

Neben Festangestellten arbeiten hier auch Personen aus sozialen Einrichtungen. „Da wir beim Anbau und der Ernte auf Maschinen verzichten, ist der personelle Aufwand natürlich höher“, so Initiator Hubertus Ahlers. Deshalb bekommt das Team zusätzlich Unterstützung von WWOOFers, das sind meist Studierende aus aller Welt, die gegen Kost und Logis tatkräftig mithelfen.

Hubertus Ahlers

Hubertus Ahlers, Initiator der Permakultur

Warum bloß hier?

Gerade hier, antwortet dann der Biologe und Gärtner. Klar, die Grundstückspreise im Essener Norden waren natürlich ein wichtiger Faktor. Ahlers sieht aber gerade in solchen Projekten auch eine sozioökonomische Komponente. „Die ersten drei Jahre waren wild, aber seitdem die libanesischen Clans bei uns ihren Honig kaufen, ist alles in bester Ordnung“, erzählt er augenzwinkernd.

Das Gros der Kundschaft kommt aber aus den (reicheren) südlichen Stadtteilen, seine Gemüsekiste verkauft das Team deshalb zentral in der Essener Innenstadt. Am Anfang hat er sich auch als Lieferant für Restaurants versucht. Seiner Meinung nach müssten einige Küchenchefs beim Wareneinkauf aber flexibler werden. Wenn es zu bestimmten Zeiten keinen Brokkoli gibt, ist das halt so. Und wenn die Käfer den Rucola zerfressen, dann auch.

Auf der Bonnekamphöhe gibt es keine Schädlingsbekämpfung. Vielmehr wird versucht, die Biodiversität zu maximieren. Die Blaumeisen etwa füttern ihre erste Brut zu 80 Prozent mit den Raupen des Apfelwicklers. Wie aber behandelt die konventionelle Landwirtschaft befallene Bäume? Mit Chemie! Was dann mit den Jungvögeln passiert, kann man sich vorstellen. Dadurch gibt es im nächsten Jahr weniger Blaumeisen. Und wer frisst jetzt die Raupen? Mehr Chemie! Besser, man orientiert sich am Ansatz der Permakultur: Geduld, Demut, sehen, hören, verstehen! Erst dann agieren.

Ökologische Zusammenhänge begreifen

Wie kommt es eigentlich, dass die Aborigines seit ungefähr 90.000 Jahren in Australien leben, ohne eine Spur im Ökosystem zu hinterlassen, und wir schaffen es, innerhalb von 100 Jahren so viel zu zerstören? Das fragten sich die Gründer der Permakultur Bill Mollison und David Holmgreen. Ihre Idee war es, der Biosphäre transdisziplinär abzulauschen, wie man kompatibel leben kann. Konkret heißt das: Orientierung an natürlichen Kreisläufen.

Diese biologisch intensive gärtnerische Methode ist in Deutschland praktisch noch unbekannt. Anders in den USA oder in Kanada. Da gibt es zehntausende solcher Farmen. In Essen muss sich Ahlers auf den Ämtern häufiger mit der Frage herumschlagen: „Was machen Sie denn eigentlich da? Das ist doch ein Hobby“. Dann legt er Studien vor, zum Beispiel von AgroParisTech oder wissenschaftlichen Erhebungen aus Kanada, die belegen, dass der Erlös pro Flächeneinheit vier- bis fünf Mal höher ist als in der konventionellen Bewirtschaftung.

In Toronto wurden zum Beispiel über 600 solcher kleinen Farmen etabliert, um die Abhängigkeit von Exporten zu reduzieren. In Deutschland hört Ahlers viel zu häufig den Satz: „Wenn es gut wäre, was Sie da machen, dann gäbe es das schon“. So etwas nennt man wohl Zirkelschluss. Dass es aber auch anders geht, hat er in England erlebt. „Mit einem ähnlichen Projekt konnten wir allein aufgrund der Idee innerhalb von einem Jahr über 70.000 Pfund Spenden einsammeln.“

lila Tomaten

Lila Tomaten

Äpfel im Korb

Die Welt isst bunt!

Setzlinge

Setzlinge

Definition Permakultur

Permakultur als Gestaltungspraxis wurzelt in einem tiefen Verständnis von den Beziehungen der Lebewesen untereinander und zu ihrer belebten und unbelebten Umwelt. Dabei geht es uns darum, die diesen ökologischen Zusammenhängen zugrunde liegenden Wiederholungen und Abwandlungen – sogenannte Muster – zu erkennen. Sie bilden die Basis für zukunftsfähige Gestaltung. Drei ethische Grundsätze stehen im Zentrum allen permakulturellen Wirkens. Sie lauten: Sorge für die Erde. Sorge für die Menschen. Begrenze Konsum und Wachstum und teile Überschüsse. Permakultur kann auf alle Bereiche angewandt werden, zum Beispiel im Garten, in Gemeinschaften, in Betrieb und Schule, im eigenen Alltag und der persönlichen Lebensgestaltung, in der Landwirtschaft, in Städten und der Politik.

Quelle: Permakultur Institut

Happy Farmers

Happy Farmers, ein Ziel, das Spaß macht: Gemeinsames Gärtnern, ohne Spuren im Ökosystem zu hinterlassen

Es ist noch nicht zu spät

Auch wenn die Voraussetzungen bei uns um einiges schwieriger sind, ist inzwischen auf der Bonnekamphöhe eine essbare Landschaft entstanden. Das Ziel ist eine höchstmögliche Artenvielfalt, damit sich einzelne Schädlinge nicht explosionsartig ausbreiten können und so ein ökologisches Gleichgewicht entsteht.

Das Gelände unterteilt sich getreu dem Permakultur-Prinzip in verschiedene Zonen. In der Intensivzone wird das einjährige Gemüse angebaut. Das Motto lautet: Humusaufbau und das Bodenleben fördern. Auch hier kommt natürlich keine Chemie zum Einsatz. In einer anderen Zone wird kompostiert, zum Beispiel das Gras der Wildblumenwiese. Der Kompost kommt wieder auf die Beete. Der riesige Teich ist ein Biotop und gleichzeitig das Bewässerungssystem. Auch ein Prinzip der Permakultur: jede Funktionseinheit möglichst vielseitig nutzen. In den letzten Jahren pflanzte das Team zudem Obstbäume, Nussbäume und Beerensträucher, an den Randzonen setzt man auf kontrollierte Verwilderung.

Dass das Ganze tatsächlich mitten in einer Stadt so gut funktioniert, hätte sich selbst Ahlers nicht vorstellen können. „Ich weiß wirklich nicht, wo die ganzen Tiere herkommen.“ Wer die Bonnekamphöhe besucht, kann Schwalbenschwanzschmetterlinge, diverse Bläulinge und über 30 Liebellenarten sehen. „Wenn das Angebot eines Lebensraumes da ist, dann füllt es sich auch – und zwar exponentiell schnell.“ Lichtblicke, dass es für eine Wende doch noch nicht zu spät ist.

Ist Permakultur die Lösung?

Eine Frage bleibt: Kann dieser Ansatz wirklich die gesamte Bevölkerung versorgen? Von Ahlers kommt ein eindeutiges Ja. Schon im Weltagrarbericht 2008 wurde ganz klar analysiert: die einzige Möglichkeit, zukunftsfähig zu wirtschaften, ist die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Das Problem besteht in der Konzernwirtschaft, die daran nicht mitverdienen kann.

Zu einem ähnlichen Fazit kommt eine Langzeitstudie zur Produktivität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die der Permakultur-Hof von Charles Herve-Gruyer in der Normandie mit der Pariser Universität über drei Jahre durchführte: gäbe es sechs Millionen Höfe dieser Art (jeder ca. vier Hektar groß), könnten sie Frankreich vegetarisch ernähren. Würden sich solche Strukturen durchsetzen, hätten wir außerdem noch ein wirksames Mittel, das wir dem Klimawandel entgegensetzen könnten: Humus! Denn dieser besitzt ein riesiges Bindungspotenzial für CO2. Also, Chancen für einen Wandel sind durchaus da, wir müssen sie nur ergreifen.

Bonnekamp Stiftung

Fotos: Michael Alisch; privat

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