„So viel wie möglich richtig machen“

Zwei-Sterne-Koch Nils Henkel über Regionalität, tragfähige Restaurantkonzepte und die Wichtigkeit von Erzeugernetzwerken. Interview: Peter Erik Hillenbach

Bootshaus

So soll das lässige Gastronomie-Konzept aussehen: Restaurant „Bootshaus“

Bis zum März dieses Jahres wirkte Nils Henkel als hochdekorierter und allseits anerkannter Spitzenkoch auf Burg Schwarzenstein in Geisenheim/Rheingau. Für seine außergewöhnlichen Fauna- und Flora-Menüs zeichnete ihn der Restaurantführer Gusto zuletzt mit der Höchstnote von zehn Pfannen „plus“ aus, der Michelin vergab zwei Sterne und der Gault&Millau 18 Punkte.

Im März wurde dem gebürtigen Kieler und seinem Team Corona-bedingt überraschend gekündigt; die Schwarzenstein-Betreiber wollten sich außerdem vom Fine-Dining-Konzept verabschieden, hieß es.

Nils Henkels neue Arbeitsstätte ist nun – ebenfalls durchaus überraschend – das Papa Rhein Hotel des jungen Hoteliers Jan Bolland im nahen Bingen, gleich auf der anderen Rheinseite. Der Spitzenkoch ist für das gesamte Küchenkonzept zuständig; seine neue Wirkungsstätte nennt sich Bootshaus und ist als Vintage-Restaurant mit Holzboden, Altholzmöbeln, hellen Leinenstoffen und Lederstühlen im Shabby-Look angelegt. Der Gast blickt über die Rheinauen und erwartet eine regionale, authentische und gesunde Küche. 

ZUR PERSON

Nils Henkel, 50, wurde nach seinen Lehr- und Wanderjahren ab 1997 unter und neben Dieter Müller im Schlosshotel Lerbach (Bergisch Gladbach) zum Spitzenkoch. Von 2008 bis zur Schließung 2014 leitete er das dortige berühmte Gourmetrestaurant.

Henkel steht für eine jahreszeitlich und regional geprägte neue deutsche Küche, die er „Pure Nature Küche“ nennt. Fisch und Fleisch sind bei manchen Gerichten nur eine sinnvolle Begleitung, jedenfalls nicht die Hauptdarsteller – diese Rolle ist häufig alten Gemüsesorten und wilden Kräutern aus der Region vorbehalten.

Der gebürtige Kieler wurde von verschiedenen Medien und in unterschiedlichen Jahren zum „Koch des Jahres“ ausgerufen. Seit 2006 ist er Mitglied bei den Jeunes Restaurateurs. Im Sommer 2020 übernahm er die Leitung des Restaurants Bootshaus im neuen Papa Rhein Hotel & Spa in Bingen (Hotelier: Jan Bolland).

Papa Rhein Hotel | Nils Henkel

Nils Henkel

Nils Henkel auf der Baustelle „seines“ neuen Restaurants

Herr Henkel, welche Chancen geben Sie der inhabergeführten Gastronomie nach und mit Corona?

Ich denke, die inhabergeführten Betriebe sind die, die in der Krise flexibel an ihren Konzepten gefeilt und sich auf geänderte Bedingungen eingestellt haben. Ich bin sicher, dass die meisten gestärkt aus der Krise hervorgehen werden. Auch wenn es für viele schwer war.

„Lässig ohne Stern“ scheint die neue Sehnsucht einiger Spitzenköche zu sein – manche gaben gar ihr Sternerestaurant auf und eröffneten stattdessen ein Bistro. Was zeichnet das Format „Bistro“ aus, was macht das Bootshaus-Konzept anziehend und zeitgemäß?

Ich weiß nicht, ob Bistro wirklich der richtige Begriff für unser Bootshaus ist. Wir wollen ein legeres Restaurantkonzept, das für viele Gäste verschiedener Altersgruppen attraktiv ist. Und wir möchten in Sachen Qualität und Zeitgeist genau den richtigen Nerv treffen.

Bietet eine Bistroküche bessere Ansätze zur Wertschöpfung in Zeiten „mit Corona“ als eine hochspezialisierte Sterneküche?

Die Coronazeiten sind für die gesamte Branche eine Katastrophe. Und wir alle wissen, wie schwer es heutzutage geworden ist, mit Sterneküche Geld zu verdienen. Der Begriff Sterneküche ist für viele Gäste eher abschreckend als anziehend, viele Menschen verbinden das immer noch mit Steifheit und Zwang. Wir wollen mit dem Bootshaus eine größere Akzeptanz erreichen und damit natürlich auch eine solide wirtschaftliche Basis schaffen.

Für Ihre „Flora“- und „Fauna“-Menüs sind Sie gelobt und hoch dekoriert worden. Werden wir die dahinterstehende Philosophie oder einzelne Elemente daraus auch in Ihrer lässig-mediterranen Bootshaus-Küche erleben?

Die Fauna- und Flora-Menüs sind natürlich die Basis meiner Küche. Aber die darin enthaltenen Gerichte sind zum Teil auch sehr aufwändig. Ich möchte gern die DNA meiner Gerichte erhalten, sie aber etwas einfacher arrangieren und meine Küche auf diese Weise für mehr Gäste zugänglich machen.

Sehr gelobt wurde auch Ihre alkoholfreie Menübegleitung. Bleibt uns Ihre Kompetenz in Sachen hausgemachte Tees, Säfte, Kräuteressenzen erhalten?

Ich denke, dass alkoholfreie Alternativen eine immer größere Rolle spielen werden. Ich habe gesehen, dass die Nachfrage in den letzten Jahren stetig gewachsen ist und glaube, dass wir einen guten Mix aus hausgemachten Produkten und Erzeugnissen aus ausgesuchten Manufakturen anbieten werden. Alles selbst herzustellen, ist bei der Anzahl der Plätze allerdings utopisch.

Fun Fact: Ist Ihnen bewusst, dass Sie auf dem Weg von Burg Schwarzenstein nach Bingen knapp eine Ländergrenze überschritten haben? Wird das Auswirkungen auf Ihre verwendeten regionalen Produkte und Gerichte haben?

Ja natürlich, die Rheinseite zu wechseln heißt auch von Hessen nach Rheinland-Pfalz zu wechseln. Ich sehe Regionalität ja nicht dogmatisch auf einen kleinen Radius ums Restaurant herum beschränkt, sondern durchaus etwas weitläufiger. Das gilt auch für unsere Weinauswahl; hier liegt der Fokus schon auf den umliegenden Anbaugebieten Rheinhessen, Rheingau, Nahe und Mittelrhein. Aber auch hier werden wir kein Dogma daraus machen, sondern Wert auf gute Kombinationen zum Essen legen.

Was bedeutet Regionalität überhaupt für Sie?

Regionalität ist für mich ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit, aber sicherlich kein Dogma. Wir haben in den letzten Jahren sehr viele kleine tolle Produzenten und Manufakturen in Deutschland dazugewonnen. Das kann man auch sehr gut an der Entwicklung des JRE Genussnetzes sehen. Die Betriebe sind aber über ganz Deutschland verteilt, also nicht immer so wirklich regional. Früher waren viele Produkte aus Deutschland überhaupt nicht zu bekommen, vieles kam aus Frankreich. Meine persönliche Regionalität ist ein guter Mix aus deutschen und regionalen Produkten, die ich gern auch mit Aromen aus aller Welt verknüpfe.

Nicht jedes Produkt aus der Region hat zwangsläufig einen schmaleren CO2-Fußabdruck als ein vergleichbares Produkt aus Übersee. Sie selbst wissen das. Kommunizieren Sie das auch an Ihre Gäste, die auf regionalen Produkte bestehen?

Wir haben normalerweise keine Gäste, die engstirnig auf Regionalität bestehen. Wichtig ist es, nachhaltig zu denken und den richtigen persönlichen Weg zu finden. Alles richtig zu machen halte ich für nahezu unmöglich. So viel wie möglich richtig zu machen ist für mich das erstrebenswertere und erreichbare Ziel.

Wie kann die gehobene Küche in Deutschland künftig von einem regionalen Erzeugernetzwerk zufriedenstellend und zuverlässig in Qualität und Menge versorgt werden?

Das kann nur funktionieren, wenn ein gutes Netzwerk aus Köchen und Produzenten entsteht. So in etwa eine solidarische Landwirtschaft für eine bestimmte Region in enger Abstimmung zwischen Restaurant und Bauernhof. Dazu gehören aber auch klare Zusagen und Abnahmeverpflichtungen. Wir kennen diese Art Netzwerk zum Beispiel als Die Gemeinschaft aus der Region Berlin. Ich denke, es funktioniert auch nur mit Menschen, die ähnlich denken und beispielsweise bereit sind, in der kalten Jahreszeit enthaltsamer zu arbeiten. Aber es gibt ja sowohl Köche als auch Gäste, die das gar nicht wollen und zum Beispiel nicht auf ihre Ananas zum Frühstück verzichten möchten.

Welche Rolle spielt das JRE-Genussnetz in diesem Zusammenhang für Sie?

Das JRE Genussnetz ist ein schönes Beispiel dafür, dass so ein Netzwerk auch über die Regionen hinaus funktionieren kann. Es ist toll, wenn man seine Produkte aus dem näheren Umkreis bekommt, so ist ja auch das Genussnetz einmal entstanden. Aber durch die Vernetzung bestellen auch die entfernteren JRE-Kollegen. Die Produzenten und Manufakturen haben die Möglichkeit sich weiter zu entwickeln, zu wachsen und mit gemeinsamen Projekten neue Ideen voranzutreiben.

Auch interessant …

Restaurant Klinker

„Wir sind Handwerker, keine Rockstars!“

Ein Porträt des Hamburger Restaurants Klinker, in dem Gastronomie neu gedacht wird. Von Carina Alves

Slow Food

Ärmel hochkrempeln statt Hände in den Schoß

Vier Slow Food-Gastronomen erzählen, wie sie die Corona-Zeit erlebten, welche Maßnahmen jetzt angegangen werden müssen und warum die Krise auch eine Chance sein kann. Von Kirsten Sulimma

Highland-Rind

Vom Acker bis zum Teller

Die Regionalwert AG Hamburg hat sich die Vision einer sozialen, ökologischen und kooperativen Landwirtschaft auf die Fahne geschrieben. Von Kirsten Sulimma