Robust, gesund, artgerecht

Die Land.Luft Leberfing in Roßbach/Niederbayern ist ein Biohof mit Vorbildcharakter. In diesem Kreislaufbetrieb werden Schweine und Rinder ganzjährig auf der Weide gehalten und auch auf der Weide geschlachtet. Reportage: Peter Erik Hillenbach

Über das ethische und ästhetische Empfinden osteuropäischer Schlachthofarbeiter maße ich mir kein Urteil an. Ich weiß nicht, ob sie bei ihrer Knochenarbeit eine emotionale Beziehung zum Schlachtvieh aufbauen oder jegliches Empfinden ausblenden. Vielmehr: ausblenden müssen, um nicht wahnsinnig zu werden.
Zeilen wie die folgenden erwarte ich jedenfalls von niemandem, der in einem der schlagzeilenträchtigen NRW-Schlachtbetriebe schuften muss: „Ich bin schon relativ früh in der Arbeit. Wenn man so früh ankommt und am Wald entlang fährt, hat man einen Wahnsinnsblick. Die Sonne steht noch niedrig am Horizont, tieforange und der Boden dampft noch aus. Die Tiere auf den Weiden sehen in diesen Moment wie gemalt aus. Ein fantastischer Anblick. Da lohnt es sich, so früh aufzustehen.“ Dies schrieb mir Isabella Wieselhuber, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Marke Land.Luft verantwortlich ist – und so schreibt jemand, der seine Arbeit und die Tiere liebt.
Schweine
Auch 80 Rinder in Mutterkuhhaltung bevölkern den Biohof
Schweine
Ferkelei
Dutzende Hühner im Hühnermobil
Die Tiere, das sind 48 Sauen und ihre Ferkel, 80 Rinder und einige Dutzend Hühner. Sie alle leben ganzjährig auf der Weide, kennen keine Kastenhaltung, keine Betonböden oder Lagerhallen, in denen sie zu Hunderten eingepfercht auf den Schlachttermin warten müssen. Möglich ist dieses artgerechte Tierleben auf dem Biohof Land.Luft Leberfing im tiefsten Niederbayern anderthalb Autostunden nordöstlich von München – bezeichnenderweise kein Jahrhunderte alter Traditionshof in zehnter Generation, sondern tatsächlich ein 45 Hektar großes landwirtschaftliches Start-up-Unternehmen, keine drei Jahre alt und betrieben von der Lindner Group im nahen Arnstorf. Es liegt in Roßbach im Landkreis Rottal-Inn; Leberfing ist einer von 66 Roßbacher Ortsteilen, die Namen wie Albanöd, Hölldobl, Reisawimm oder Vogelbichl tragen. Man ist hier, mit Verlaub, ganz schön weit vom Schuss.

In die mobilen Häuschen können sich die Sauen mit ihren Ferkeln zurückziehen

Kastenstand? Nein danke!

Umso idyllischer liegt der Hof, von dem aus rechts und links sanft Hügel aufsteigen. Auf den Hügeln: Weide. Und auf der Weide: Schweine. Schweine auf der Weide sind erstens ein seltener Anblick, zweitens bildet ganzjährige Weidehaltung den größtmöglichen Gegensatz zum erbärmlichen Kastenstand, der in den letzten Wochen viel diskutiert wurde. Wie wir gleich sehen werden, bildet auch die Weideschlachtung den größtmöglichen Gegensatz zu allem, was wir im Mai und Juni über Fälle wie „Westfleisch“ und „Tönnies“ erfahren mussten.

Die bereits zitierte Isabella Wieselhuber, außerdem Michaela Girisch, die den Hofladen und das Hofrestaurant leitet, und Biohof-Geschäftsführer Josef Straubinger erläutern mir das Konzept des Hofes und seine Besonderheiten. Schweine und Rinder leben im Herdenverband und stehen ganzjährig auf der Weide. Als dritte Tierart werden Hühner gehalten, die in Hühnermobilen leben. Schafe in extensiver Haltung betreiben Weidepflege und halten die Zaungassen frei, mit denen man Wild- von Nutztieren trennt. Die maximal 48 Sauen und ihre Ferkelschar dürfen tun, was Schweine eben gern tun: mit dem Rüssel im Boden wühlen, im Schlamm suhlen, rennen, in der Sonne dösen. Ferkel haben freien Auslauf, trainieren ihr Rottenverhalten und kennen untereinander sogar „Freunde“. Wollen sich die Sauen mit ihren Ferkeln zurückziehen, stehen etliche mobile Hütten bereit, die ein wenig an kleine Ferienbungalows erinnern. Sie sind gedämmt, windgeschützt und bieten eine trockene Liegefläche. „An heißen Tagen“, zeigt mir Josef Straubinger einige bogenförmige Bauten, „liegen sie gern im Schatten. Wir haben diese Sonnensegel aus alten Moniereisen vom Bau selbst gefertigt. Nachhaltig eben.“

So nachhaltig wie der Umstand, dass die Land.Luft ihren Solarstrom selbst erzeugt, eigenes Wasser aus Zisternen schöpft, ihr Saatgut selbst erzeugt, auf eine vielgliedrige Fruchtfolge setzt und den Boden über gezielten Humusaufbau für Generationen nutzbar zu machen sucht. Kreislaufwirtschaft in Reinkultur!

Eiweißfrüchte aus hofeigenem Bioanbau

Wenn ein Teilabschnitt der Weideflächen ausgiebig durchwühlt wurde, werden die Schweine in den nächsten grünen Sektor getrieben. „So wurde es auch früher gemacht: Man trieb die Tiere in die abgeernteten Flächen“, weiß Josef Straubinger. Der zerwühlte Boden darf regenerieren, über den ersten Kleeschnitt holt man später den Kot- und Urineintrag wieder heraus. Gefüttert werden die Tiere mit Getreide sowie Eiweißfrüchten wie Luzerne, Futtererbse und Ackerbohne aus hofeigenem Bioanbau. Zugekauft wird von Biobauern der Umgebung, getränkt wird mit Frischwasser aus dem Bach und aus eigenen Zisternen. Die Schweine werden nicht geimpft und sind medikamentenfrei. Desinfektion ist nicht nötig, Sonne und Frost reichen. Es sind Schwäbisch-Hällische Sauen, die vom Duroc-Pietrain-Eber gedeckt werden – es handelt sich also um alte, robuste Schweinerassen, die artgerecht leben dürfen. „Es handelt sich um die natürliche Haltungsform alter Nutztierrassen“, sagt Straubinger und betont, dass neben den Tieren auch die Mitarbeiter der Land.Luft gesund sind.

Jeder dieser Mitarbeiter ist neben der eigentlichen Arbeit auf dem Hof auch „Botschafter“ der Land.Luft. Ob es sich um Wurstschulungen und Seminare handelt oder um Führungen für Kindergärten und Schulen, stets geht es um die Wertschätzung, die dem Tier entgegengebracht wird. Straubinger: „Das Tier ist in der heutigen landläufigen Wahrnehmung nur noch ein Produkt. Man blendet aus, dass es sich um Lebewesen handelt. Dem wollen wir mit unserer Arbeit entgegenwirken.“ Und da ist die hier praktizierte Weidehaltung das Maß aller Dinge. Für Straubinger geht sie einen Schritt weiter als Bio, die Fleischqualität sei messbar und spürbar besser. Gleichwohl kritisiert er: „Ein Tierwohl-Label fehlt, das unsere Anstrengungen verbindlich nach außen kommuniziert und honoriert!“

Geschäftsführer Josef Straubinger lockt die Schweine auf den Schlachtanhänger
Der Schlachtanhänger wird direkt auf die Weide gefahren

Stressfrei schlachten im Schlachtanhänger

Gut acht Monate alt werden die Sauen, konventionell gezüchtete Schweine leben etwa ein halbes Jahr bis zur Schlachtung – aber ohne Bewegung und Freiluft. Montags wird zweimal geschlachtet: morgens sechs bis acht Schweine, nachmittags noch einmal sechs bis acht. Dies geschieht ohne Tiertransport direkt auf der Weide, und zwar in einem speziellen Schlachtanhänger, den die Tiere schon kennen und in den sie bereitwillig und stressfrei hineingehen. Sie werden mit der Elektrozange zweimal betäubt und über der Blutwanne abgestochen. Für acht Schweine sind 25 Minuten angesetzt, zehn Sekunden Zeit haben die Metzger von der Betäubung bis zum Stich.

Ähnlich verfährt man mit den Rindern. In Leberfing leben 80 Rinder in Mutterkuhhaltung an zwei Standorten. Alle zwei Wochen wird ein Rind geschlachtet – ebenfalls im Hänger, der direkt an die offene Stallung gefahren wird. Auch hier handelt es sich um futtergenügsame alte Zuchtrassen: Braunvieh und Murnau-Werdenfelser, beide gehörnt, die ebenfalls ganzjährig auf der Weide stehen. Die Kälber bleiben sieben bis acht Monate bei der Mutter. An Hühnern hält man in der Land.Luft die Rasse Lohmann Brown als Legehennen; hier gehen Eier sowie Frikassee und Brühe in den Verkauf.

Die Lindner Group in Arnstorf

Michaela Girisch, die den Hofladen und das Hofrestaurant leitet, weiß um die Vorzüge der hofeigenen Schlachtung: „Wir sind unser eigener Produzent, bei uns geht es komplett ohne Tiertransporte. In unserer eigenen Metzgerei mit drei Metzgermeistern wird handwerklich gearbeitet, das Warmfleischverfahren ermöglicht Wursten ohne Zusatzstoffe.“ Mein eigener Eindruck von den Metzgern beim kurzen Blick in die Metzgerei war unerwartet: Gut gelaunt gingen Meister und Azubi ihrem Handwerk nach und hörten dabei laut Eminem…

Über 300 Produkte kann Michaela Girisch anbieten, darunter etliche Wurstsorten, Salami, Schinken, besondere Fleischcuts. „Weinbars und gehobene Restaurants nehmen uns den hochwertigen luftgetrockneten Schinken ab“ – eine ausdrücklich regionale und qualitativ locker gleichwertige Alternative zu Parma- oder Serranoschinken, wie ich vom eigenen Verkosten bestätigen kann.

Das Fleisch der Land.Luft-Tiere geht in den Hofladen, ins Biorestaurant, in den Onlineshop, auf den Wochenmarkt, ins Schlossbräu im nahen Hotel Mariakirchen und in die Kantine der Lindner-Group in Arnstorf. Dort, im Hauptsitz des weltweit tätigen Bau- und Immobilienunternehmens, ist übrigens auch der Ursprung des Lindner’schen Engagements zu finden: Man wollte dort wissen, woher überhaupt das Fleisch auf der Speisekarte der Kantine kommt. Die Antworten waren offenbar so unbefriedigend, dass die Lindner Group, die auch die Hotelgruppe mk-Hotels mit dem Hotel Mariakirchen als Keimzelle betreibt, im Jahre 2018 die Land.Luft nach zwei, drei Jahren Vorarbeit eröffnete und seitdem das Prinzip Weidehaltung offensiv vorantreibt. Insbesondere Herr Lindner Senior ist hier die treibende Kraft.

Schweine
Gelernte Metzger bei ihrem Handwerk
Michaela Girisch
Biorestaurant Land.Luft

Gezielte Kundenansprache in Coronazeiten

Das Konzept hat sich als überlebensfähig erwiesen. Michaela Girisch: „Corona hat uns gezeigt, wie wichtig regionales Einkaufen ist. Der Hofladen war ja offen während der Ausgangsbeschränkungen und wir haben mit unserem Marktwagen auf den Wochenmärkten der Umgebung Werbung in eigener Sache gemacht. Wir waren positiv überrascht von dem guten Feedback: Die Leute sind gezielt zu uns gekommen und blieben uns seitdem als Kunden erhalten. Wir haben Haustürlieferungen gemacht, neben unseren Fleisch- und Wurstwaren waren unsere hausgemachten Eiernudeln, Obstsäfte und eingelegte Gemüse der Renner. Wir hatten sogar Kunden aus München, die wir nun als Gäste im Restaurant begrüßen dürfen.“

Die Lindner-Stiftung betreibt auch 300 Hektar Ländereien in Rumänien, die nach EU-Prinzipien von konventionell auf Bio umgestellt werden. Die zitierten Säfte und Weck-Gemüse kommen von dort. Geschäftsführer Josef Straubinger erklärt, dass die Stiftung seit 30 Jahren in Rumänien tätig ist. „Zunächst ging es um Armutsbekämpfung, längst steht Berufsbildung an erster Stelle. Wir haben Ausbildungsberufe in „grünen“ Branchen und betreiben ökologischen Landbau – es ist eigentlich ein Know-How-Transfer.“ Neben Obst- und Gemüseanbau sowie deren Verarbeitung baut man in der Pannonischen Tiefebene eine eigene nachhaltige Forstwirtschaft auf, die unter anderem ein Heizkraftwerk versorgt.

Zurück nach Leberfing. Marketingfrau Isabella Wieselhuber ergänzt die Ausführungen von Michaela Girisch: „Wir haben Werbung in regionalen Tageszeitungen geschaltet, aber mehr läuft über Social Media: Wir bespielen neben Facebook und Instagram auch Kanäle wie Telegram und LinkedIn. Unser monatlicher Newsletter geht einmal an externe Leser, erreicht aber auch intern 7.500 Mitarbeiter der Lindner Group weltweit.“

Schweine
Die Land.Luft aus der Sicht des Silo-Daches
Zur Tellersülze schmeckt ein Bier aus dem Schwesterbetrieb Schlossbräu Mariakirchen
Biergarten

Schlossbräu-Bier zur Brotzeit

Seit Anfang Juni hat das zeitgemäß urig eingerichtete Biorestaurant in der Land.Luft wieder geöffnet. Auf der Speisekarte stehen überraschend moderat bepreiste Schmankerln wie Rinderkraftbrühe mit Leberspätzle, Tatar vom Rind zum selber anmachen, natürlich auch Bayrischer Wurstsalat und bestens bestückte Brotzeitplatten neben hausgemachten Nudelgerichten. Das Spektrum der Hauptspeisen reicht vom Cordon bleu mit Leberfinger Schinken und Bergkäse gefüllt über Schwäbisch Hällischen Burger und Schweinekotelett mit Senfkruste bis zur gesottenen Ochsenbrust und gebratenem Roastbeef. Dazu schmeckt eins der naturtrüben Biere vom Schwesterbetrieb Schlossbräu Mariakirchen im dortigen mk-Hotel – auf dessen Speisekarte und Frühstücksbüfett selbstverständlich ebenfalls Produkte aus Leberfing stehen. Hoteldirektorin Johanna Lindner sagt zum Gäste-Feedback im Schlossbräu: „Gäste von außerhalb nehmen das eher an. Hiesige sind oft aus der konventionellen Landwirtschaft.“

Überzeugend im Biorestaurant der Land.Luft ist auch das vegetarische Angebot, etwa Kohlrabi-Carpaccio mit Kürbiskernöl, üppige Salate oder auch Beilagen wie Urgetreiderisotto, die sich auch in den urbanen Hipster-Hotspots sehen lassen können. Eine Zusatzausbildung als Biokoch hat der Küchenchef übrigens nicht absolviert – nicht nötig, wenn die verwendeten Lebensmittel qualitativ derart hochwertig sind. Man fragt sich, ob (frei nach Che Guevara selig) „zwei, drei, viele“ Land.Luft-Betriebe deutschlandweit nicht eine gute Antwort auf die Probleme sein könnten, die Corona in Sachen Lieferketten und Tiertransporte sichtbar gemacht hat.

www.landluft.bio

Fotos: Land.Luft Leberfing, Peter Erik Hillenbach

Auch interessant …

Laborfleisch

Revolution des Systems

Fleisch aus dem Bioreaktor, „künstliche“ Nachbauten von Hackfleisch, Hühnchen, Fisch und Steak. Was spricht dafür und spricht überhaupt etwas dagegen? Wer forscht zu diesem Thema, wer investiert, wer profitiert? Und schmeckt das eigentlich?

Slow Food

Ärmel hochkrempeln statt Hände in den Schoß

Vier Slow Food-Gastronomen erzählen, wie sie die Corona-Zeit erlebten, welche Maßnahmen jetzt angegangen werden müssen und warum die Krise auch eine Chance sein kann. Von Kirsten Sulimma

Schlachthof

Erinnerung an Jurgis

Wolfgang Götze: Vergesst den Klimawandel nicht! Der Politische Sprecher von FEINHEIMISCH über schleichende Prozesse und Anthropozentrismus um jeden Preis.