Ratlos in der Sackgasse
Wenn schon ein Handels-Manager sagt, dass Unternehmen wie seins „ohne Zweifel Teil des Problems“ seien – wie soll dann jemals der wahre Preis eines Lebensmittels unter Berücksichtigung aller ökologischen und Folgekosten ermittelt werden? Ein Kommentar von Wolfgang Götze.
Wieder einmal machte ein Lebensmittel-Discounter Schlagzeilen. Diesmal war jedoch kein Lebensmittelskandal die Ursache. Es war viel trivialer – Preisinformationen zu 16 Produkten von den durchschnittlich 3.500 Artikeln des Gesamtsortiments. Trotzdem schaffte diese Aktion den Sprung in die Abendnachrichten und auf die Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen.
Große Lücke zwischen Verkaufspreis und „wahrem Preis“
Was war geschehen? Der zum Handelsriesen REWE gehörende Discounter Penny hatte dem Wirtschaftsinformatiker Tobias Gaugler (Universität Augsburg) den Auftrag erteilt, für ausgewählte Produkte der Handelskette die „wahren Kosten“ zu ermitteln. Die Ergebnisse wurden bei der Eröffnung des ersten „Nachhaltigkeits-Erlebnismarktes“ in Berlin präsentiert. Für acht Produkte jeweils aus konventioneller und ökologischer Produktion wurde dem „Verkaufspreis“ der „wahre Preis“ gegenübergestellt.
Durchschnittlich klafft bei den konventionellen Produkten eine Lücke von 62 Prozent zwischen dem Verkaufspreis und dem „wahren Preis“ und den ökologischen Produkten immerhin noch von 35 Prozent. Besonders deutlich wird dies bei den Produkten tierischer Herkunft: Gemischtes Hackfleisch müsste im Preis um 175 Prozent steigen, Milch um 122 Prozent und Gouda um 88 Prozent. Deutlich geringere Unterschiede zeigen pflanzliche Produkte.
Nur die halbe Wahrheit
Diese Zahlen spiegeln nur die halbe Wahrheit wider. Denn die Berechnungen beruhen nur auf vier Faktoren – Stickstoff, Klimagase, Energie und Landnutzungsveränderungen. Weitere gewichtige Faktoren, so die Wissenschaftler, wie Antibiotika- und Pestizideinsatz, Landschaftszerstörung durch Rohstoffabbau, gesundheitliche oder soziale Auswirkungen konnten wegen fehlender Datengrundlage nicht beziffert werden. Der „wahre Preis“ müsste also noch deutlich höher liegen!
Wem nützt also die doppelte Preisauszeichnung, zumal die wenigen untersuchten Artikel dann doch zu „normalen“ Preisen angeboten werden? Ein Schelm, der darin nur eine reine PR-Aktion vermutet. Ein REWE-Manager sieht darin einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit: „Wir müssen dazu kommen, die Folgekosten unseres Konsums sichtbar zu machen.“ Und weiter: „Wir sind als Unternehmen in einem wettbewerbsintensiven Markt ohne Zweifel Teil des Problems.“ Diese Einsichten verdienen erst einmal Respekt.
Zum jetzigen Zeitpunkt hinterlässt die Unternehmensinitiative aber eher Ratlosigkeit. Auch die Reaktion von Verbraucherverbänden ist eher schwach zu nennen. Foodwatch erklärte, die Kosten müssten von Produzenten getragen werden. Die Verbraucherzentrale Berlin kommentierte, eine Kostenweitergabe an die Verbraucher gehe nicht.
Wer sonst als der Konsument?
Ja, aber wer sollte denn für die Folgekosten aufkommen, wenn nicht der Konsument dieser Produkte? Denkt man in dieser Richtung weiter, erkennt man, dass wir uns in eine Sackgasse gewirtschaftet haben. Dem Handelsriesen war in letzter Konsequenz wohl nicht bewusst, den Finger in die Wunde eines gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Problems gelegt zu haben, das grundsätzlich unsere Wirtschaftsweise und Kostenermittlung hinterfragt. Jetzt sollte er den nächsten Schritt gehen und seine Initiative in eine politische Dimension und zu Lösungswegen führen. Der unausweichliche Weg aus der Sackgasse wird mit Sicherheit für alle ein holpriger und unbequemer sein.
Wolfgang Götze ist Politischer Sprecher des FEINHEIMISCH-Vorstandes.
FEINHEIMISCH – Genuss aus Schleswig-Holstein e.V. entstand 2007 aus einem Pilotprojekt des Landwirtschaftsministeriums als Kooperation zwischen Landespolitik, Tourismus, Gastgewerbe und Landwirtschaft/Tierzucht im nördlichsten Bundesland. Einer der Ideengeber war Wolfgang Götze, seinerzeit als Biologe im Landwirtschaftsministerium Kiel tätig. Das Netzwerk aus Gastronomen, Küchenchefs, Hoteliers, agrarischen Erzeugern und Manufakturen, privaten Mitgliedern und gewerblichen Förderern besteht heute aus etwa 500 Mitgliedern.
Fotos: privat, Alexas_Fotos (Pixabay), Bearbeitung Andreas Wolf
Wahre Preise für Lebensmittel – weitere Untersuchungen zum Thema
Unter diesem Link geht es zu einer früheren Studie der Universität Augsburg (September 2018, ebenfalls vorgelegt von Dr. Tobias Gaugler et al.) zum Thema „How much is the dish – was kosten uns Lebensmittel wirklich?“, in Auftrag gegeben von der Tollwood GmbH für Kultur- und Umweltaktivitäten gemeinsam mit der Schweisfurth Stiftung.
Wesentlich älter (nämlich von 2004) ist der bekannte Report von Foodwatch: „Was kostet ein Schnitzel wirklich?“. Er thematisierte damals schon die „Sinnlosigkeit von moralischen Appellen an die Verbraucher“.
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