Ein Licht geht auf!

Ungebremst rutschen Einzelhandel und Gastgewerbe in die Lockdown-bedingte Insolvenz. Was das für die Attraktivität unserer Innenstädte und touristischen Regionen bedeutet, scheint manch einer erst jetzt zu begreifen. Ein Kommentar von Wolfgang Götze.

Lichterglanz und geschäftige Einkaufsfreuden in der Vorweihnachtszeit – davon war im vergangenen Jahr in den Innenstädten ungewohnt wenig zu spüren. In ein Zwielicht von Frustration und Furcht vor der Zukunft getaucht, wurde diese Atmosphäre durch leere Schaufenster vieler Geschäften weiter verdunkelt.

Über dem Einzelhandel hängt drohend das Damoklesschwert der Insolvenz. Deutsche Insolvenzverwalter und Fachanwälte rechnen im Jahr 2021 mit einer Welle von Geschäftsaufgaben: Allein in Schleswig-Holstein seien aktuell rund 8.500 Firmen insolvenzgefährdet. Dies entspricht ungefähr 7,5 Prozent aller Unternehmen im Land. Bei der Gastronomie liegt die Quote bei 14 Prozent. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband schätzt diese Quote sogar auf 30 Prozent ein. In anderen Bundesländern dürften diese Zahlen ähnliche Dimensionen erreichen.

Gespenst der Verödung

Angesichts dieser Entwicklung macht das Gespenst einer weiteren Verödung der Innenstädte bundesweit die Runde. Bei ihrer Situationsanalyse der Innenstädte ging den Vertretern des Einzelhandels und den Stadtmarketing-Agenturen ein Licht auf: Ein erlebnisreicher Einkauf ist eng mit dem gastronomischen Angebot verknüpft! Die Corona-bedingte Schließung der Gastronomie hat eine Achillesferse der Innenstädte aufgedeckt und die existenzielle Symbiose von Handel und kulinarischem Erlebnis vor Augen geführt.

Die Entwicklung von Strategien und Konzepten für eine kulinarisch-gastronomische Belebung der Innenstädte stellt Stadtentwickler und Stadtmarketing vor eine anspruchsvolle Aufgabe, die mit Bedacht und Fantasie angegangen werden muss. Wenn – wie in der nördlichsten Landeshauptstadt Deutschlands – bei der Neugestaltung der Innenstadt die Ansiedlung von Bubble-Tea-Läden, Donut-Shops und global allgegenwärtiger Systemgastronomie als kulinarische Bereicherung gefeiert wird, dann reicht dies nicht.

Regionales Denken fördert attraktive Städte

Wenn die Weiterentwicklung des Städtetourismus auf der Agenda steht, sollten zur Steigerung der Attraktivität unbedingt regional denkende und arbeitende Gastronomen, Produzenten und Lebensmittelhandwerker einbezogen werden. Einige Städte zeigen es bereits: Neu konzipierte Markthallen wie die Markthalle Neun in Berlin, die Markthal Rotterdam oder traditionelle Wochenmärkte wie der Viktualienmarkt in München haben sich zu beliebten Zielen der Städtetouristen entwickelt – gerade wegen des Speisenangebots.

Apropos „Tourismus“ – in Schleswig-Holstein als einem der beliebtesten Ferien-Bundesländer arbeiten etwa 170.000 Menschen in der Branche. Dies sind mehr als zwölf Prozent aller Erwerbstätigen im Land, die rund neun Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaften.

Kein Gasthaus – keine Lust auf Urlaub

Die Folgen von Corona setzen der Hotellerie und Gastronomie auch im ländlichen Raum hart zu. Hier, in den beliebten Ferienregionen, ist mit den befürchteten Insolvenzen der Branche ebenfalls mit einer Verödung der (touristischen) Infrastruktur zu rechnen. Wenn hungrige Touristen vergeblich einen interessanten Gasthof suchen, dürfte der touristische Wert eines Feriengebietes schlimmstenfalls gegen Null gehen. Den Entscheidungsträgern und Akteuren der Tourismuswirtschaft sollte – wie dem Einzelhandel in den Innenstädten – ebenfalls ein Licht aufgehen. Es ist an der Zeit, Strategien und Konzepte für eine zukunftsfähige kulinarische Infrastruktur in Schleswig-Holstein auf der Basis von regionaler Identität, Kultur und Lebensmittelproduktion zu entwickeln. Anregungen, mit welchen Kooperationspartnern diese Thematik strategisch und planvoll angegangen werden kann, liefern erfolgreiche Beispiele von Skandinavien bis zu den baltischen Staaten. Man sieht: Kulinarische Angebote sind kein Nischenprodukt.

Markthal Rotterdam

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Aufmacherbild: Ein Beispiel für eine mediterrane Markthalle im griechischen Thessaloniki

Wolfgang Götze

Wolfgang Götze ist Politischer Sprecher des FEINHEIMISCH-Vorstandes.

FEINHEIMISCH – Genuss aus Schleswig-Holstein e.V. entstand 2007 aus einem Pilotprojekt des Landwirtschaftsministeriums als Kooperation zwischen Landespolitik, Tourismus, Gastgewerbe und Landwirtschaft/Tierzucht im nördlichsten Bundesland. Einer der Ideengeber war Wolfgang Götze, seinerzeit als Biologe im Landwirtschaftsministerium Kiel tätig. Das Netzwerk aus Gastronomen, Küchenchefs, Hoteliers, agrarischen Erzeugern und Manufakturen, privaten Mitgliedern und gewerblichen Förderern besteht heute aus etwa 500 Mitgliedern.

www.feinheimisch.de

Fotos: privat, Vianney Cahen (Unsplash), Mike van den Bos (Unsplash)

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