„Auch der Biosektor muss sich weiterentwickeln“
Teil 2 unseres dreiteiligen Interviews mit dem Journalisten Manfred Kriener. In seinem neuen Buch „Leckerland ist abgebrannt“ geht es (auch) um Laborfleisch, Tierwohl und Bio-Landwirtschaft. Fragen wir mal nach! Von Christian Caravante
Herr Kriener, ein Kapitel ihres Buches heißt Neues Fleisch und handelt von der Forschung rund ums Laborfleisch. Es erscheint als Lösung mit Blick auf Tierwohl, Krankheiten, üblen Zuständen in Schlachtbetrieben, Klimakatastrophe und Gesundheit. Aber bis jetzt sind lediglich viele Investorengelder geflossen und Prototypen von Hackfleisch (und nur Hackfleisch!) entwickelt worden. Ist Laborfleisch wirklich mehr als eine zukunftsträchtige Erzählung?
Kann sein, dass Sie recht haben. Doch es steckt inzwischen so viel Geld in der Laborfleischentwicklung, dass ich nicht glaube, sie kann komplett floppen. Es sind allein im Jahr 2018 in diesem Sektor 27 neue Unternehmen gegründet worden. Ich halte die Versprechen einer angeblich sauberen und ethischen Fleischproduktion im Bioreaktor für überzogen. Aber man sollte die missionarische Vitalität dieser Unternehmen und ihrer Führungsfiguren auch nicht unterschätzen. Diese Leute wollen die Welt retten und sind entsprechend motiviert. Nebenbei wollen sie natürlich auch noch Geld verdienen.
Wird Kunstfleisch das E-Book des Fleischgenusses? Es gibt einen Markt, aber wie man bei Büchern sieht, verzichten die Leute lieber aufs Lesen als mehr E-Books zu kaufen. Wie sehen Sie die Entwicklung?
In meinem eigenen Bekanntenkreis gibt es durchaus vernünftige und kluge Leute, die rundheraus erklärt haben, sie würden Laborfleisch probieren und kaufen. Das hat mich überrascht. Selbst wenn der Markt anfangs klein sein dürfte, könnte sich also eine neue Nische bilden. Entscheidend ist der Preis. Sollte er wirklich konkurrenzfähig sein, dann wird eine Minderheit auch Kunstfleisch kaufen und essen. Wir werden sehen, wann die ersten Produkte im Regal liegen.
Nächster großer Komplex: Bio ist nicht zwingend regional – bei Milch etwa kommen über 30 Prozent aus dem Ausland, ebenso bei Äpfeln oder Weizen. Was sind die Gründe dafür?
Die Umstellung der Bauern auf Bio ist in Deutschland über viele Jahre nicht ausreichend gefördert worden. Deshalb haben zu wenig Bauern ihren Betrieb umgestellt. Und deshalb wurde die Schere zwischen Bioproduktion und Bioverbrauch immer größer. Inzwischen ist sie so groß, dass viele Produkte aus dem Ausland importiert werden müssen.
In ihrem Buch berichten sie auch über einige – wenn auch länger zurückliegende – Skandale rund um Bio. Mal Etikettenschwindel, mal die Frage nach dem Tierwohl, das die Biobauern auch nicht durchgehend alle besser pflegen. Wohin geht Bio?
Es gibt auch sehr aktuelle Skandale und Studien in Sachen Bio-Landwirtschaft. Denken Sie an die Untersuchungen zu Tierkrankheiten im Bio-Stall. Ich glaube, dass die „normale“, also die konventionelle Landwirtschaft durch die Zivilgesellschaft nach und nach zu Reformen in Richtung Bio gezwungen wird. Sie wird und muss sich verändern. Bio wird als Premiumsegment der Landwirtschaft immer ein wenig „höher“ angesiedelt sein. Aber auch der Biosektor muss sich weiterentwickeln. Ich hoffe in die richtige Richtung – Klasse statt Masse und mehr Menschen- und Tierwohl.
Sie schreiben, dass gute konventionelle Betriebe nachhaltiger sein können, als schlecht gemanagte Biobetriebe. Könnten Sie das etwas ausführen?
Nicht unbedingt nachhaltiger, aber gesünder. Untersuchungen zeigen, dass es in manchen Bioställen gravierende Probleme mit der Tiergesundheit gibt. Die Rate an Euter-Entzündungen, Klauenkrankheiten und Fruchtbarkeitsstörungen bei Kühen ist zum Beispiel bei einzelnen Bio-Betrieben recht hoch. Bio-Landwirtschaft ist durchaus anspruchsvoll und die Leistungen, die den Tieren abverlangt werden sind kaum geringer als in der konventionellen Landwirtschaft.
Sie sprechen im Buch von einer möglichen Zweiteilung in „Premium Bio“ und „Discounter Bio“. Könnten Sie das ein wenig ausführen?
Es ist ja bekannt, dass Bioware auch bei Lidl und Aldi angeboten wird und bei anderen Discountern. Der Preisdruck dort auf die Produzenten ist enorm und irgendwann geht das auf Kosten der Qualität. Ich bin selbst gespannt, wie sich die neuen Kooperationen zum Beispiel von Bioland mit Lidl entwickeln werden.
Verschaffen denn die Bioprodukte bei den Discountern nicht dem Thema Bio Aufmerksamkeit und schlagen auch eine Schneise ins Verbraucherverhalten, das dann vielleicht irgendwann dazu führt, selbstverständlicher zu Bio zu greifen?
Bio für alle ist natürlich ein guter Slogan und ein gutes Ziel. Deshalb kann man dem Bioangebot bei Aldi oder Lidl auch positive Seiten abgewinnen. Dennoch bin ich skeptisch. Biolebensmittel und Lebensmittel generell dürfen nicht verramscht werden, die Erzeuger müssen fair und anständig bezahlt werden und nicht unter dem Preishammer produzieren.
Manfred Kriener in der Textetage
Serie in drei Teilen. Hier lesen Sie Teil 1, Teil 3 erscheint am 14. Juli 2020.
Foto Kriener: Pixelmann, Foto Kühe: Guido Radig
LECKERLAND IST ABGEBRANNT
Es geht um Ernährungslügen und den rasanten Wandel der Esskultur: Manfred Kriener versteht sein neues Buch „Leckerland ist abgebrannt“ als Sparringspartner für nachdenkliche Verbraucher. Weil heutzutage zwar pausenlos über Ernährung geredet und geschrieben wird, es aber leider allzu häufig an Wissen und Beurteilungsvermögen fehlt, tut ein flott und humorig geschriebenes, höchst informatives Sachbuch ohne den Sirenenton der Alarmisten richtig gut.
238 Seiten, mit einem Vorwort von Vincent Klink, 18 Euro, www.hirzel.de
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