Nachhaltigkeit braucht Raum

Die Tourismuswirtschaft entwickelt sich verstärkt zu einem Flächenkonkurrenten um knappe Platzressourcen. Sie muss sich rechtzeitig um die Ökologie bemühen und intakte Landschaften anbieten. Leere Marketingversprechen sind fehl am Platz. Ein Kommentar von Wolfgang Götze

„Nachhaltigkeit“ hat scheinbar ihren Raum in Gesellschaft und Wirtschaft erobert. Oder ist da noch ein Platz frei geblieben? Im Wirtschaftsraum fallen die inzwischen erstarkten Säulen „Ökonomie“ und „Sozialverträglichkeit“ ins Auge. Verwunderlich ist dies nicht, geht es hier doch unter dem Stichwort „Ressourcenschonung“ letztlich auch um Kostenersparnisse für den einzelnen Betrieb. Weniger Energie- und Wasserverbrauch, weniger Materialeinsatz, weniger Abfallentsorgung bedeuten eben geringere betriebliche Kosten – ein Effekt, der direkt erfahrbar ist.

Ähnliches gilt auch für die Säule „Sozialverträglichkeit“. Besonders viel Aufmerksamkeit schenken ihr die Betriebe der Tourismuswirtschaft mit ihren Hotels und Restaurants. Antriebsfeder für diese Entwicklung war und ist möglicherweise die schwierige Lage am Markt für fachlich versiertes Personal.

Konkurrenzkampf um Boden

Was ist mit der dritten wichtigen Säule der Nachhaltigkeit – der „Ökologie“? Sie führt immer noch ein kümmerliches Schattendasein! Dies mag daran liegen, dass sie sich nicht einfach in „Cent und Euro“ rechnen lässt, der Effekt von Investitionen in sie für die meisten nicht direkt und schnell erfahrbar ist, und ihr schwer verständliches Klagen über mangelnde Wertschätzung meist überhört wird. Dabei benötigt sie den meisten Raum – sprich Fläche. Obwohl diese Ressource äußerst begrenzt ist, wird an ihr brutaler Raubbau betrieben. Täglich (!) werden in Deutschland 56 Hektar – eine Fläche von 79 Fußballfeldern – allein für Siedlungs- und Verkehrsflächen zugebaut. Der Konkurrenzkampf um Boden ist voll entbrannt.
Hierunter leidet als Erste die Landwirtschaft, die stetig Flächen als Produktionsgrundlage und zur nachhaltigen Lebensmittelerzeugung verliert. Schon jetzt hat der Flächenmangel die Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen von 2007 bis 2016 um satte 142 Prozent in die Höhe getrieben. Gleiches gilt für die Pachtpreise. Eine Entwicklung, die letztlich uns Alle trifft. Und immer mehr Akteursgruppen strecken ihre Finger aus: die Energiewirtschaft für den Anbau von regenerativer Biomasse, die Rohstoffwirtschaft für den Abbau von Metallen oder Sand-/Kiesvorkommen sowie Investment-Gesellschaften, die Boden als Kapitalanlage für hohe und sichere Renditen entdeckt haben.

Urlaub im eigenen Land – Vorsicht, Übernutzung!

Auch die Tourismuswirtschaft entwickelt sich verstärkt zu einem Flächenkonkurrenten.
Die Corona-Epidemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Erholungssuchende, Tagesausflügler und Urlauber drängt es in Massen auf die Naturflächen. Naturschützer stellen zunehmend eine Übernutzung der wenigen Naturschutzgebiete fest, ländliche Gemeinden ihrer Naherholungsgebiete. Strand-Gemeinden klagen über desaströse Verkehrsverhältnisse und Wildcamper (seit 2015 bis 2020 ist die Zahl der Wohnmobile von 390.00 auf 590.000 gestiegen). Schon fordern Campingplatz- und Parkplatzbetreiber eine Ausweitung ihrer Flächen. Allerorten ist der Trend zum Urlaub im eigenen Land mit möglichster großer Nähe zur Natur erkennbar. Da sind Investoren nicht fern, die touristische Projekte in attraktiver Landschaft realisieren wollen.

Fatale Augenwischerei: gelbe Raps-Einöden

Die Tourismuswirtschaft wäre angesichts der erkennbaren Fehlentwicklungen gut beraten, sich intensiv mit der Säule „Ökologie“ auseinanderzusetzen und ihr eigenes Handeln einer genauen Risikoanalyse zu unterziehen. Denn die Gäste erwarten unter anderem eine „intakte“ Landschaft sowie den Genuss regionaler Produkte und Küche. Marketing mit Bildern von gelben Raps-Einöden mit der obligatorischen Eiche in der Mitte oder Horden von Kanuten und Stand-Up-Paddlern auf den verbliebenen sieben Prozent naturnaher Flüsse und Seen sind fatale Augenwischerei.

Markthal Rotterdam

Gelbe Raps-Einöden

Fotos: Unsplash/zibik, Unsplash/Ben White

Wolfgang Götze

Wolfgang Götze ist Politischer Sprecher des FEINHEIMISCH-Vorstandes.

FEINHEIMISCH – Genuss aus Schleswig-Holstein e.V. entstand 2007 aus einem Pilotprojekt des Landwirtschaftsministeriums als Kooperation zwischen Landespolitik, Tourismus, Gastgewerbe und Landwirtschaft/Tierzucht im nördlichsten Bundesland. Einer der Ideengeber war Wolfgang Götze, seinerzeit als Biologe im Landwirtschaftsministerium Kiel tätig. Das Netzwerk aus Gastronomen, Küchenchefs, Hoteliers, agrarischen Erzeugern und Manufakturen, privaten Mitgliedern und gewerblichen Förderern besteht heute aus etwa 500 Mitgliedern.

www.feinheimisch.de

Foto: privat

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