Holsteiner Blut

Ob die Klimakrise durch regionale Arten- und Sortenvielfalt auf Äckern und in Ställen gemeistert werden kann, wagt unser Autor zu bezweifeln. Aber immerhin – erfreulich ist das Plädoyer für historische Haustierrassen und Kulturpflanzen allemal. Ein Kommentar von Wolfgang Götze

Zu Jahresbeginn erscheinen sie – die Food- und Ernährungs-Reports. Wissenschaftler der verschiedensten Fachrichtungen wagen Prognosen zu den Entwicklungen in Gastronomie, Ernährungsgewohnheiten und Vorlieben für bestimmte Lebensmittel. Wem wurde da nicht eine glänzende Zukunft prognostiziert: der nordisch-skandinavischen, japanischen, levantinischen Küche und anderen, die schnell wieder in Vergessenheit geraten sind.

Nachdem nun fast die ganze Welt durchgekaut wurde, müssen die Trendpropheten neue Themen (er-)finden. Weil 2020 die Gastronomie als Themen-Treiber weitgehend ausgefallen ist, geraten jetzt schwieriger zu verarbeitende Schlagwörter in das Blickfeld. Die bekannte Food-Trendforscherin Hanni Rützler sieht in ihrem Foodreport 2021, dass „drei Trends die Gastro-Branche wiederbeleben und nachhaltig auf dem Kopf stellen“ könnten. Für einen „langfristig frischen Umsatz“ sorgen nach ihrer Ansicht „Ghost-Kitchen“, „Liquid Evolution“ und „Biodiversity“, wobei Letzteres zeitgerecht mit dem Klimawandel in Verbindung gesetzt wird.

Zwei Punkte vergessen wir mal schnell. Die Biodiversität ist da schon interessanter. Wie schon Viele vor ihr, kommt die Trendforscherin zu der Erkenntnis, dass der Klimawandel zur Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten führe und Ernten bedrohe. Aber es ist schon eine arg vereinfachte Sichtweise, dass die „Klimakrise durch regionale Arten- und Sortenvielfalt auf Äckern und in Ställen gemeistert werden“ könnte.

Engagement für Äpfel und Kartoffeln

Das Plädoyer für historische Haustierrassen und Kulturpflanzen ist erfreulich – allerdings nicht neu. Teilweise seit Jahrzehnten arbeiten Einzelpersonen und Initiativen daran, dem Sterben der Agrar-Biodiversität etwas entgegenzusetzen. Seien es der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. oder das Slow-Food-Projekt Arche des Geschmacks – oder seien es engagierte Menschen wie etwa Eckart Brandt, ein Pomologe und Autor, der sich der Zucht und Erhaltung historischer Apfelsorten verschrieben hat; Meinolf Hammerschmidt vom Obstmuseum Pomarium Anglicum in der Nähe von Flensburg; oder der Kartoffelspezialist und Biolandbauer Karsten Ellenberg im niedersächsischen Barum.

Von einem neuen Trend sollte man daher besser nicht sprechen. Vielmehr ist es ein mühseliger, langwieriger Prozess. Dies beginnt mit der Suche nach den letzten Exemplaren in Schrebergärten und endet nicht mit dem erfolgreichen Anbau.

 

Wolfgang Götze

Wolfgang Götze ist Politischer Sprecher des FEINHEIMISCH-Vorstandes.

FEINHEIMISCH – Genuss aus Schleswig-Holstein e.V. entstand 2007 aus einem Pilotprojekt des Landwirtschaftsministeriums als Kooperation zwischen Landespolitik, Tourismus, Gastgewerbe und Landwirtschaft/Tierzucht im nördlichsten Bundesland. Einer der Ideengeber war Wolfgang Götze, seinerzeit als Biologe im Landwirtschaftsministerium Kiel tätig. Das Netzwerk aus Gastronomen, Küchenchefs, Hoteliers, agrarischen Erzeugern und Manufakturen, privaten Mitgliedern und gewerblichen Förderern besteht heute aus etwa 500 Mitgliedern.

www.feinheimisch.de

Angler Sattelschwein

Fette Rasse: Angler Sattelschwein

Alblinsen

Arche-Passagiere: Alblinsen oder Alb-Leisa

Rhabarber

Aromatisch: Rhabarber „Holsteiner Blut“

Fallobst

Artenreichtum auf der Streuobstwiese: Falläpfel

Kartoffeln Bamberger Hörnla

Edle Kartoffelsorte: Bamberger Hörnla

Ohne Sortenzulassung keine Zukunftsbotschafter

Saatgut von historischen Gemüsesorten kann man zwar kaufen, oft jedoch „nicht für den gewerblichen Anbau“ – heißt: Die Früchte dürfen nicht gehandelt werden, auch nicht in Restaurants, weil sie keine Sortenzulassung besitzen. Insofern bleibt die Einschätzung von Hanni Rützler, dass Köche und Köchinnen – in diesem Fall nur theoretisch – „Zukunftsbotschafter“ sind, „die unbekannte, vergessene und neuartige Geschmacksnuancen präsentieren und den Weg für einen Wandel im Lebensmittelhandel“ bereiten, vorerst eine fromme Hoffnung.

Aber Hoffnung ist da. Tatsächlich werden einige Relikte der historischen Gartenkultur wieder bekannter und finden sich vor allem auf Wochenmärkten: Die Kartoffelsorte Bamberger Hörnchen oder die Grünkohl-Verwandte Schwarzkohl. Neben der Roten haben auch Weiße, Gelbe und Geringelte Bete, Pastinaken und Petersilienwurzel den Sprung in den Lebensmittelhandel geschafft. Viele Bäckereien verwenden inzwischen Dinkel, Einkorn und Emmer. Angler Sattelschwein und Schwäbisch-Hällisches Landschwein sind wieder da. Letzteres ein herausragendes Beispiel, wie durch solidarisches Handeln der Erzeuger und vertrauenswürdiges Marketing eine historische Nutztierrasse in über 30-jähriger Arbeit erfolgreich am Markt etabliert werden konnte.

Die kapriziöse Mieze Schindler

Weitere Kandidaten, die wiederentdeckt werden sollten: zum Beispiel Bremer Scheerkohl, Haferwurzel, Türkische Erbse und nicht zuletzt Holsteiner Blut, eine hocharomatische Rhabarbersorte, die es unbedingt verdient, wieder Einzug in die Dessertküche zu halten. Also, am Besten Eigeninitiative ergreifen und wenn möglich ab in den Garten. Vielleicht gesellt sich ja die Erdbeersorte Mieze Schindler als adäquate Partnerin zum Holsteiner Blut?

Fotos: Aufmacher: Pixabay/Maria Godfrida; Angler Sattelschwein: Slow Food/Stefan Abtmeyer; Alblinsen: Slow Food/Simon Reitmeier; Rhabarber Holsteiner Blut: www.allgaeustauden.de, Leutkirch; Falläpfel: Unsplash/Drahomír Posteby-Mach; Kartoffeln Bamberger Hörnla: Slow Food/Gerhard Müller-Lang

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