Der mit dem Streuobst tanzt

Von A wie Apfelwermutwein bis Z wie Zwetschke im Cognacfass: Jörg Geiger verarbeitet das Obst der Schwäbischen Alb. In die Zukunft blickt er verstärkt alkoholfrei. Von Juliane Fischer

Die Glockenbirne, die grüne Jagdbirne, die früher Scheidebirne hieß und die Oberösterreichische Weinbirne, die dort als Speckbirne bekannt ist, der Boskop-Apfel oder die Goldparmäne: Alles was Putz und Stingl hat, karren rund 150 Betriebe und Privatpersonen heran. Manche kommen nur mit ein paar Kisten im Kofferraum nach Schlat; in diesen 1700 Einwohner fassenden Obstort im baden-württembergischen Landkreis Göppingen. Sie gehören zum Verein Wiesenobst und liefern zu dessen Gründer, Verarbeiter und Vermarkter Jörg Geiger. Sein Unternehmen trägt mit dem Genuss „Manufaktur“ im Namen. Hände braucht es viele, um die unüberschaubare Produktpalette zu erarbeiten. Vier bis sechs Tonnen Obst schafft seine Presse pro Stunde. Morgen wird die Entalkoholisierungsmaschine feierlich eingeweiht. Die neueste Investition ist eine Million Euro schwer und das Lager schon wieder so voll, dass bald der Bau einer weiteren Halle ansteht.

Größtenteils setzt man hier auf jene Sorten, mit denen man als Tafelobst keine Freude hat. Wer hat schon einmal einen kleinen, abgefallenen Mostapfel mit harter Schale und noch viel härteren Gerbstoff genossen? Da zieht es einem vor Tanninen und Säure das Zahnfleisch hoch. Genau das nutzt Geiger für seine Kreationen – allesamt fruchtig, aber nicht picksüß, was die große Gefahr in der Welt des Sprudels wäre, speziell bei den alkoholfreien Varianten. Aber dazu später …

What the heck is Gaishirtle?

Wenn der Schwabe sagt, „Mein Wunsch war, Gaishirtle anzubauen“, schauen die meisten verdutzt. Wie bitte? – Das Stuttgarter Gaishirtle ist eine kleine regionale Birne. Früher stand sie oft im Vorgarten. Klein, rasch überreif und meistens Mitte August ins Fass gesteckt, vergoren und destilliert. Für den Handel mit mehreren Zwischenstationen macht sie das schlicht ungeeignet. Das Gaishirtle gehört zu den Streuobstwiesenbäumen, wie sie hier auf der Schwäbischen Alb noch auf 30.000 Hektar herumstehen.

„Für den Geschmack und seinen Wunsch zur Weiterverarbeitung ist nicht nur die Sorte ist entscheidend, sondern auch die Unterlage, auf die draufveredelt wird“, erklärt der Produzent. Die meisten dieser Bäume müssen erst einmal 20 Jahre stark wachsen und kommen dann so richtig ins Tragen. Bei diesem Obst geht es um Gerbstoff, um Säure oder die Eignung zum Dörren.

Jörg Geiger ist ein Freak. Das kann man ruhig so sagen. Und ein Perfektionist obendrein. Er liest in alten Büchern nach, dass man Eichenlaub mit den Birnen zu Saft presste und probiert das aus. Mittlerweile hat er an die 100 alte Bücher gesammelt. Auch um zu belegen, dass es das Wort „Champagner Bratbirne“ schon lange in unterschiedlichen Publikationen gab. „Das ist seit 1797 belegt“, betont Geiger. Vor dem Rechtsstreit mit der Champagne schreckte er nicht zurück. Schließlich brachte das eine gute Geschichte und mediale Aufmerksamkeit für den edel aufgemachten Schaumwein.

 

Nicht das Tafelobst, sondern das Destillat

Der Sinn hinter den Streuobstwiesen sei immer die Verwertung, nicht das Tafelobst gewesen; nicht die Äpfel und Birnen zum sofortigen Genuss, sondern für die Destillate beispielsweise. Oder für den Obstwein. Jedenfalls eher für etwas mit Volumenprozent. Darum geht es auch Geiger. Wobei er gar nicht selten den Alkohol wieder entzieht. Denn der Unternehmer schaut nicht nur in alte Bücher, auf hochgewachsene Bäume und in die Vergangenheit. Er hat auch einen Trend erkannt und setzt auf Entalkoholisiertes.

Das Produkt entstehe im Kopf, erklärt Geiger. Zuerst variiere er mit ein paar Litern, dann wird hochskaliert. „An dem Tag musst du dabei sein, da musst‘ dran schaffe“, sagt er. Experimentierlust und Ehrgeiz sind spürbar. Er will sich überall einlesen. Bevor er einen Auftrag vergibt, ist er selbst schon fast ein Profi auf diesem Gebiet. Mit der Umsetzung kann es gar nicht schnell genug gehen. Anders kann man sich auch nicht erklären, dass das Unternehmen von einem Gasthaus zu einem 50 Mitarbeiter starken Betrieb gewachsen ist. Und sich Geiger ein solch enormes Wissen angeeignet hat. Er hat mit Destillaten begonnen, 2000 kam der erste Apfelsecco: Kaltvergorener Obstwein mit zugesetzter Kohlensäure.

 

Jörg Geiger

Jörg Geiger vor der Destille: Riecht man das Eichenlaub?

Garten

Geigers Manufaktur-Serie „Inspiration“: Zu Apfel und Birne gesellen sich Rote Bete, Paprika, Staudensellerie oder Weißdorn

Garten

Die berühmte Champagner Bratbirne hieß schon so, bevor die Franzosen rigoros ihre Appellation schützten

Gemüsegarten

Nicht nur alkoholfreie Schaumweine entstehen in Schlat, sondern auch wunderbare Cider, manchmal mit Birnenzusatz

Alkoholfreier Gin-Tonic, Edeleistee und Kirschport

Momentan gehören zur Genussmanufaktur 19 Hektar Eigenfläche. Das ist verhältnismäßig wenig, denn 95 Prozent der Rohstoffe kommen vom Verein Wiesenobst. Daraus kreiert das Unternehmen 200 Produkte, etwa alkoholfreien Gin-Tonic, im Banyuls-Fass gereiften Kirschport, Cider und den Edeleistee „Teasecco”. Da bringt der indische Bio-Grüntee Gerbstoffe, aber zum Apfel kommen Gartenmelisse als Gewürzkraut und noch zig andere Komponenten dazu. Sämtliche Blüten, gemahlene und getrocknete Wurzeln, Löwenzahn, Holunder, von dem es dieses Jahr 800 Kilogramm gibt, Schlehe oder Rosmarin warten vakuumiert in Gitterboxen in der Kälte des Tiefkühlers auf ihre Bestimmung. Als Anhaltspunkt: Birne bringt meist die Bitternote, Apfel die Säure, aber Geiger tüftelt sich noch 20 weitere Ingredienzen hinzu.

Dass das alles in die Flasche kommt, dafür ist unter anderen Mimi zuständig. Er ist der Fruchtsafter und Brenner im Haus, stellt Hydrolate her und kennt sich mit der neuen Entalkoholisierungsmaschine aus. In der riesigen Lagerhalle behält er den Überblick. Und das ist ob dieser schieren Vielfalt wahrlich ein Kunststück! Dieser Tage wächst das Sortiment schon wieder: Das Unternehmen hat große Mengen Wein aus Trauben in Bio-Qualität gekauft, entalkoholisiert und nun mit Kräutern, Blüten und Gewürzen angereichert, um den Riesling und den Dornfelder nach dem Alkoholentzug Charakter und Fülle zu verleihen.

Was aber wurde aus dem Gaishirtle, diesem Zufallssämling, den angeblich einst ein Ziegenhirte am Albtrauf entdeckte? – Es ist das Destillat, das den besonderen Duft und Geschmack dieser kleinen Sorte, die auch Honig- oder Zuckerbirne genannt wird, am besten konserviert. Und es hält die Sommertage auf den schwäbischen Streuobstwiesen für viele Jahre fest.

www.manufaktur-joerg-geiger.de

Fotos: Juliane Fischer, Manufaktur Jörg Geiger

Zur Autorin

Juliane Fischer ist eine freie Journalistin aus Österreich, die für eine Unmenge österreichischer Zeitungen und Magazine über Genussthemen, Kultur, Gesellschaft und Politik schreibt. Juliane ist bekennender Fan des First Vienna FC und unterhält mit Juliane Fischers Flaschenpost eine regelmäßige Weinkolumne im Kurier.
Die vorliegende Reportage für Eco Beach entstand im Rahmen einer Pressereise im späten Juli 2021, zu der Jörg Geigers Manufaktur nach Schlat eingeladen hatte.

Auch interessant …

Philadelphia, Oder-Spree

Goldparmäne statt Golden Delicious

Der Regenwald ist bedroht, das wissen wir. Es betrifft aber nicht nur den großen tropischen, sondern auch die kleinen Regenwälder Mitteleuropas – die Streuobstwiesen. Ein Verein macht sich nun für sie stark, und wer die richtige Schorlenmarke kauft, hilft ebenfalls, ihren Fortbestand zu sichern.

Supermarktäpfel

Für eine neue Kultur des Konsums

Die Coronakrise wirft gerade nicht nur Licht auf die Art, wie viele Menschen arbeiten (müssen), auf unser Schulsystem oder die immer schon fragilen Einkommensverhältnisse in der Gastronomie, sondern auch auf längst bekannte, ungut nachhaltige Probleme unseres Lebensmittelkonsums.
Permakultur Bonnekamphöhe

Geduld und Demut

Die Permakultur Bonnekamphöhe in Essen ist ein Ort des gemeinschaftlichen ökologischen Gärtnerns und ein Projekt, das Perspektiven schafft. Wir sprachen mit Initiator Hubertus Ahlers über seine Arbeit und über Alternativen zur aktuellen landwirtschaftlichen Situation.