Ärmel hochkrempeln statt Hände in den Schoß

Vier Slow Food-Gastronomen erzählen, wie sie die Corona-Zeit erlebten, welche Maßnahmen jetzt angegangen werden müssen und warum die Krise auch eine Chance sein kann. Von Kirsten Sulimma

Gesprächspartner:
Patrick Jabs, Lecker Werden in Essen  // Thomas Friedrich, Rotisserie du Sommelier in Essen  // Peter Schnitzler, La Petite Cave de Jeannette in Essen  // Markus Bitzen, Jagdhaus Rech in Rech/Ahr

Stefanie und Markus Jabs

Stefanie und Patrick Jabs vom Lecker Werden in Essen-Werden

Wie haben Sie als Gastronomen die Krise erlebt? Wie verlief die Wiedereröffnung?

Patrick Jabs: Zu Beginn waren wir sehr verunsichert, da nicht abzusehen war, wie lange die Krise anhält und was uns überhaupt erlaubt sein wird. Glücklicherweise ist ein Feinkostladen in unserem Konzept integriert, sodass wir uns auf diesen Bereich konzentrieren konnten. Wir haben unseren Kühlschrank mit frisch eingeweckten Suppen, Pesto sowie Fleischgerichten wie Hühnerfrikassee oder Königsberger Klopsen gefüllt. Außerdem bieten wir unseren Kunden frischen Fisch zur Vorbestellung an, den wir küchenfertig vorbereiten. Zu den Wochenenden gab es ein Menü, das sich unsere Kunden abholen konnten. Die Wiedereröffnung lief gut. Unsere Gäste haben sich auf den Mittagstisch gefreut und diesen gut angenommen. Außerdem bieten wir am Wochenende Menü-Abende an, da wir mit unseren Kochkursen noch nicht starten können.

Peter Schnitzler: Die Krise war entspannend und setzte neue Ideen und Überlegungen frei. Finanziell natürlich ein Desaster, aber davon sind alle betroffen. Take-Away lief gut, wir haben unser Angebot bzw. unseren Stil nicht großartig geändert. Für uns war es wichtig, für die Gäste da zu sein. Flagge zu zeigen. Die Wiedereröffnung lief gut an. Wir haben zwei Schichten angeboten, um den Umsatz in etwa zu halten. Unser Vorteil ist, dass wir ein Zwei-Frau/Mann-Betrieb sind.

Thomas Friedrich: Bei uns wurde der Betrieb Mitte März geschlossen und Kurzarbeit angemeldet. Gefreut haben wir uns über die Solidaritätsbekundungen durch Gutscheinkäufe. Das Take-Away-Angebot lief ab Ende April mit vakuumierten Speisen zum Erwärmen, Quiches, Salaten, französischen Fleisch- und Wurstwaren zum Grillen und Flaschenweinverkauf. Auch nach der Wiedereröffnung besteht diese Möglichkeit mit einem wöchentlich wechselnden Angebot.

Markus Bitzen: Für unser Restaurant kann ich sagen, dass der Zusammenhalt zwischen uns und den Gästen gestärkt wurde. Unser Online-Shop lief während der Krise mehr als gut. Zusätzlich haben wir zum Beispiel ein Online-Grillen mit unseren Stammgästen durchgeführt, die Artikel dafür konnten sie vorher in unserem Shop kaufen. Jetzt, nach der Wiedereröffnung, bekommen wir viele positive Rückmeldungen.

Welche Vorteile haben Sie in der derzeitigen Situation als nachhaltig arbeitende Slow Food-Restaurants?

Friedrich: Unabhängig von der Gastronomie ist in der Krise eine besondere Nachfrage nach regionalen (Bio-)Produkten zu beobachten, die Wochenmärkte sind extrem gut besucht, Bauernhof-Märkte im Ruhrtal machen das Geschäft ihres Lebens. Einige unserer Lieferanten fielen in der Corona-Krise aus (Kurzarbeit oder sogar Insolvenz), sodass wir noch stärker auf regionale/lokale Anbieter (Wochenmarkt, Bauernhof-Märkte) zurückgriffen. Die Lebensmittel-Logistik wurde aber insgesamt schwieriger durch das dezentrale Angebot und die unterbrochenen Lieferketten. Das Essener Slow Food-Convivium unterstützt uns durch Verbreitung unseres (Take-Away-)Angebots über eigene Kommunikationskanäle (Newsletter, Social Media). Außerdem fanden zwei vom Essener Convivium organisierte Slow Food-Veranstaltungen mit Wein und Speisen aus der Pfalz statt, die für Kundenbindung und Umsatz sorgten.

Jabs: Wir beziehen unsere Lebensmittel von regionalen Metzgereien sowie vom Markt, sodass wir keinen Engpass beim Einkauf hatten. Auf exotische Zutaten verzichten wir. Auch wir konnten dank des Netzwerks von Slow Food verschiedene Plattformen zu Werbezwecken nutzen.

Schnitzler: Wir haben allerdings die Erfahrung gemacht, dass viele Leute Slow Food gar nicht kennen. Sicher, es geht um regionale Produkte, Artenvielfalt usw. Bei uns vertrauen die Gäste aber darauf, dass wir so oder so regionale Produkte nutzen und vor allem gute Qualität, Individualität und Gastfreundschaft anbieten. Die Gäste erkennen das sehr gut und freuen sich, uns zu besuchen.

Bitzen: Meiner Meinung nach werden die überleben, die nicht zurückschauen, sondern ein gutes, flexibles Konzept vorweisen können. Bei uns haben sich seit mittlerweile drei Jahren die Menüs auf Vorbestellungen sehr bewährt. Das hilft uns auch jetzt, unsere Ressourcen wirtschaftlich und effektiv zu nutzen.

Markus Bitzen

Markus Bitzen vom Jagdhaus Rech in Rech an der Ahr

Thomas Friedrich und Küchenchef Andre Kauke

Thomas Friedrich und Küchenchef Andre Kauke

Welche kreativen Ideen und konkreten Lösungsbeispiele können Sie anderen Gastronomen mitgeben?

Bitzen: In den letzten Monaten hat sich innerhalb kürzester Zeit radikal viel verändert. Ich merke, dass die Gäste nun mehr Wert auf Regionalität und Qualität legen und qualitativ minderwertige Produkte hinterfragen. Das müssen wir Gastronomen aufgreifen und unsere Werte auch aktiv nach außen kommunizieren.

Jabs: Eine enge Kundenbindung ist das Wichtigste in der heutigen Zeit. Wir konnten unsere Gäste gezielt ansprechen und somit schnell herausfinden, was gewünscht wurde. Aber auch die Vernetzung unter Kollegen ist wichtig, denn letztendlich können wir uns nur gegenseitig unterstützen. Wir krempeln lieber die Ärmel hoch als die Hände in den Schoß zu legen.

Schnitzler: Nicht einfach den Betrieb geschlossen halten, auf finanzielle Unterstützung hoffen oder den Kopf in den Sand stecken. Sondern öffnen, sich hinstellen und zeigen, dass man nicht aufgibt und präsent ist.

Friedrich: Wir haben verstärkt unsere Social Media-Kanäle genutzt. Facebook und Instagram halfen uns beim Bewerben des Angebots sehr. Aber man sollte auch neue Plattformen bespielen, zum Beispiel die Essen-2go-Gruppe, die bei Facebook während der Krise entstanden ist.

Welche Maßnahmen erachten Sie jetzt als besonders wichtig und dringend? Wie bewerten Sie den Maßnahmenkatalog von Slow Food?

Schnitzler: Die Forderungen ähneln denen des DEHOGA. Dass Gastronomie, die Regionales anbietet, gefördert werden soll, ist auch eine gute Idee. Durch die Aufklärung von Slow Food, BUND, Foodwatch usw. können sich die Menschen ein Bild machen.

Jabs: Wir stimmen der Aussage zu, dass Gastronomen, die regional einkaufen, mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz honoriert werden sollten. Darüber hinaus finden wir, dass die Bürokratie in der Gastronomie immer stärker zunimmt – nicht nur durch die notwendigen Hygienemaßnahmen. Viel Zeit wird zum Beispiel für Listen führen verwendet (Putzplan, Temperaturlisten, Stundenzettel usw.), hier wäre eine Abspeckung oder Bündelung der notwendigen Anforderungen wünschenswert. Neue Verordnungen bedeuten oft Anschaffungen, wie zum Beispiel in Bezug auf die Kassensicherungsverordnung.

Friedrich: Die Betonung des besonderen soziokulturellen Werts kleiner, nachhaltig und regional arbeitender Gastronomen im Sinne der Slow Food-Bewegung können auch wir nur begrüßen. Eine dauerhafte Reduzierung des Umsatzsteuersatzes bei Speisen auf sieben Prozent halten wir unabhängig von der Krise selbstverständlich für notwendig. Ein frühzeitiger Erlass der Nutzungsgebühren für unsere Terrassenfläche wäre ein feiner Zug der Stadt mit Signalcharakter gewesen, stattdessen erhielten wir während der Betriebsschließung eine Mahnung des bis dato nicht bezahlten Betrags. Mittlerweile wird zumindest die Hälfte der Gebühr für dieses Jahr erlassen.

Bitzen: Wichtiger als politische und wirtschaftliche Maßnahmen für die Gastronomie finde ich es, jetzt genau hinzuschauen, was sich in der Gesellschaft verändert hat und sich darauf einzustellen. Wir müssen das Bewusstsein der Menschen noch weiter schärfen und dazu alle Marketingkanäle nutzen. Wir müssen Bauern und kleine Betriebe unterstützen und Druck auf die großen Handelsketten ausüben.

Jeannette und Peter Schnitzler

Jeannette und Peter Schnitzler, La Petite Cave de Jeannette in Essen-Rüttenscheid

Wie wird sich die Gastronomie zukünftig entwickeln? Kann die Krise auch eine Chance sein?

Jabs: In jedem Fall – wir haben die Krise genutzt, um neue Verkaufsbereiche zu etablieren und unsere Kunden zu unterstützen. Das schafft Vertrauen und festigt die Kundenbindung. Es ist auch eine Möglichkeit, sein Konzept grundlegend zu überdenken und vielleicht neue Wege, etwa beim Einkauf einzuschlagen. Wir hoffen, dass Gastronomen in Zukunft nachhaltiger und gewissenhafter arbeiten und Kunden sich differenzierter mit dem Angebot auseinandersetzen. Gastronomie bedeutet mit Leidenschaft dabei zu sein. Große Gewinne werden woanders verdient.

Friedrich: Wenn das in der Krise beobachtete Interesse an regionaler Qualität anhält, kann das auch für uns positive Auswirkungen im Sinne einer höheren Wertschätzung unserer verwendeten Produkte haben. Insgesamt fürchten wir aber eine weitere Abnahme individueller, hochwertiger Gastronomie, da die finanzielle Herausforderung enorm ist und die Umsatzmöglichkeiten mit den derzeitigen Auflagen deutlich reduziert sind.

Schnitzler: Wir finden die Slow Food Chef Alliance, ein Netzwerk aus Köchen und Produzenten, ist ein gutes Konzept. Das ist eine Chance, wie auch die Krise eine sein kann. Nur jeder wird sie anders nutzen. Viele lernen einfach nicht aus der Situation.

Bitzen: Aber ich wünsche mir auch innerhalb von Slow Food mehr Fortbildungsmöglichkeiten, um neue Trends aufzugreifen oder auch eine Art Akademie, in der Mitarbeiter gezielt geschult werden. Wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann Gastronomie vom Lieferanten über den Mitarbeiter bis hin zum Gast wieder ein rundes Konzept werden.

Slow Food Deutschland

Dr. Nina Wolff, stellvertretende Vorsitzende:

Nina Wolff„Die Gastronomie gehört zu den Branchen, die am stärksten unter den Folgen der Corona-Pandemie leiden. Der komplette Verdienstausfall von über zwei Monaten ist nicht aufzuholen und auch jetzt erschweren die aktuell notwendigen Vorschriften für Hygiene und Abstand die Rückkehr zur Normalität. Genau vor diesem Hintergrund braucht es angemessene Hilfsmaßnahmen und andere Formen des Entgegenkommens für diesen wichtigen Wirtschaftszweig, der in Deutschland rund zweieinhalb Millionen Menschen beschäftigt. Dabei sollten vor allem die Gastronom*innen verstärkt unterstützt werden, die Verantwortung für ihre Region zeigen und sich in lokalen Netzwerken engagieren. Slow Food fordert gezielte Unterstützung und Förderung für Gastronom*innen, die durch ihr Handeln zum Schutz des Klimas sowie zu Erhalt und Ausbau lokal verorteter, ökologischer Lebensmittelerzeugung, der biologischen sowie biokulturellen Vielfalt und des kulinarischen Erbes beitragen. Aktuell sind Hilfsmaßnahmen noch nicht an Umwelt- und Klimaschutz oder an soziale Leistungen gebunden. Im Zuge von Corona bestünde die Chance, ähnlich wie im Agrarsektor, Hilfeleistungen an Leistungen für Umwelt und Gesellschaft zu binden, vor allem weil derart zukunftsweisende Gastronom*innen es schon vor der Krise schwerer hatten als ihre Konkurrenz in der Systemgastronomie.“

Fotos: Stefan Abtmeyer; Jagdhaus Rech; Daniel Rögelein; Rotisserie du Sommelier; Michael Weber; Peter Wieler

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