Wolfsbarsch aus dem Cube
Weltweit gehen die kommerziell genutzten Fischbestände zurück. Eine Alternative zum Meeresfisch sollen Fischzuchtanlagen fernab der Meere sein. Die Seawater Cubes GmbH aus Saarbrücken ging 2021 mit vollautomatisierter Fischzucht im Container an den Start. Um das Produkt zur Serienreife zu entwickeln, wurde neues Kapital aufgenommen. Mit investiert haben auch Gastronomen aus Heidelberg. Von Antje Urban
Rund 1,5 Milliarden Menschen sind in den unterentwickelten Ländern auf Fisch angewiesen. Aber die Nachfrage nach Fisch und Meerestieren ist vor allem in der westlichen Welt enorm gestiegen. Derzeit isst jeder Deutsche über 14 Kilogramm Fisch pro Jahr. Das ist das Dreifache von dem, was noch in den 1950er Jahren gegessen wurde. Die Europäische Union gilt als der größte Fischimporteur weltweit. Das Angebot jedoch sinkt kontinuierlich. In Mecklenburg-Vorpommern geben immer mehr Küstenfischer auf, weil die Hering- und Dorschbestände zu gering sind. In der Nordsee ist der Kabeljau auf ähnlich schlechtem Stand. Für Greenpeace, den WWF und den BUND stehen die Ozeane weltweit kurz vor dem Kollaps. „90 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände sind bereits bis an die Grenze genutzt oder überfischt“, sagt Thilo Maack, Meeresbiologe bei Greenpeace.
Fakt ist, je weniger Fisch in den Meeren zu finden ist, umso größer wird der Aufwand der industriellen Fischerei. Immer größere Schiffe, größere Netze und genauere Ortungstechnik werden nötig. Dabei verändert der intensive Fischfang auch die Evolution, wie es im World Ocean Review 2020 heißt. Wenn vorwiegend die großen Fische gefangen werden, pflanzen sich kleinere Fische fort, die aber weniger Eier produzieren und deren Sterblichkeit höher ist. Wie Modellrechnungen zeigen, dauert es Jahrhunderte, bis sich der Effekt der sogenannten fischereiinduzierten Evolution wieder umkehrt – selbst wenn man die Fischerei stoppen würde.
Aquakulturen im Meer sind ein Umweltproblem
Als Heilsbringer galt in den letzten Jahren Fisch aus Aquakulturen. Mittlerweile stammen etwa die Hälfte aller Fische, Krebse und Muscheln auf dem Weltmarkt aus einem Aquakulturbetrieb. Was anfangs als Lösung gegen die Überfischung gesehen wurde, ist heute ein Umweltproblem. Die offenen Netzfarmen – zum Beispiel bei den Lachskulturen in den norwegischen Fjorden – halten meist unnatürlich große Populationen. Die Ausscheidungen der Fische ebenso wie die meist eingesetzten Antibiotika belasten die umgebenden Ökosysteme.
Geschlossene Kreisläufe in Containern
Dass der Hunger nach Fisch nachlässt, ist unwahrscheinlich. Stattdessen braucht es neue Konzepte, um diesen Hunger weniger schädlich für die Meere stillen zu können. Das Saarbrücker Unternehmen Seawater Cubes hat es sich zum Ziel gesetzt, Meeresfische nachhaltig an Land zu züchten. Mit seinem System gehört es zweifelsfrei zu den Vorreitern im Bereich der marinen, landbasierten Fischzucht. Mithilfe von Zuchtanlagen in Containern werden kontrolliert Meeresfische gezüchtet. Das geschlossene Kreislaufsystem hat keinerlei Wechselwirkung mit der Umwelt. Negative Einflüsse durch Verschmutzungen oder meteorologische Ereignisse sind damit ausgeschlossen.
„Stattdessen ist die Herkunft und die Qualität des Fisches verlässlich. Keine Medikamente, keine gestressten Fische und aufgrund von klarem Wasser kein modriger Geschmack“, sagt Carolin Ackermann. Entwickelt hat sie zusammen mit zwei Kommilitonen das System an der Hochschule für Technik und Wissenschaft des Saarlandes. Der Prototyp wurde mit dem Exist-Forschungstransfer gefördert – einem Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und des Europäischen Sozialfonds.
Gastronomen bestellen mit Sonderkonditionen
Seit 2019 stehen in Saarbrücken drei Schiffscontainer, in denen Wolfsbarsche gezüchtet werden, ein Jahr später begann man mit der Vermarktung. Mit fünf Tonnen Fisch pro Jahr sind das noch überschaubare Mengen. „Im Moment herrscht mehr Nachfrage als Angebot. Manche Anfragen müssen wir absagen.“ Doch die Gründer von Seawater Cubes wollen nicht nur ihren eigenen produzierten Fisch vermarkten, sondern das Konzept bundesweit als Franchise-System verkaufen. „Das Interesse ist groß, aber weniger bei Gastronomen als bei Investoren und Landwirten“, erklärt Ackermann. Im Moment bestellen Köche und Gastronomen den Fisch direkt bei den Gründern zu besonderen Konditionen. Das Kilogramm Wolfsbarsch gibt es für 20 Euro, Endkunden zahlen rund 30 Euro für das Kilo. Doch das Ziel sei, auch Gastronomen als Franchisenehmer zu gewinnen.
Franchise-Pilotprojekt in Heidelberg
Nicht nur als Franchisepartner, sondern auch als Investor konnte die Heidelberger Bliss Group gewonnen werden. Die Gastronomen besitzen in Heidelberg und Region verschiedene Restaurants. Darunter auch das Neo, das sich auf hochwertiges Fleisch, Sushi und Fisch spezialisiert hat. Noch in diesem Jahr soll Heidelberg der erste Pilotstandort für zwei bis vier Seawater Cubes werden. Pro Fischart ist ein Cube geplant und neben Wolfsbarsch sei auch Dorade oder Red Snapper denkbar: „Sobald wir die Baugenehmigungen haben, geht es los“, sagt Swen Schmidt, einer der vier Geschäftsführer der Bliss Group. „Die Qualität des Fisches hat uns komplett überzeugt. Der Fisch schmeckt nach Meer, obwohl er nie im Meer war.“
Seit einem Jahr wird der Wolfsbarsch bereits im Restaurant Neo angeboten. Bis die eigenen Cubes Fisch abwerfen werden, dauert es allerdings mindestens ein Jahr. „Wir wollen dann rund 20 Prozent in unseren eigenen Restaurants verbrauchen und der Rest wird in den freien Verkauf gegeben.“ Bestellt wird laut Co-Gründerin Carolin Ackermann auch der Fisch in Heidelberg dann über den Shop von Seawater Cubes, wird aber direkt vor Ort abgeholt. Für Heidelberg sei laut Ackermann ebenfalls das „From Nose to Tail“ Konzept geplant, das sie schon im Saarland mit einem Koch zusammen praktizieren. Das heißt, nicht verkaufte Fische oder übrig gebliebene Karkassen werden verarbeitet und als Fonds oder andere Fischprodukte verkauft.
Nachhaltigkeit steht im Fokus
Die jungen Gründer planen in den nächsten fünf Jahren bundesweit 120 Cubes aufzubauen. Zurzeit sind schon Standorte in Nordrhein-Westfalen und Bayern in der Verhandlung. Dabei kümmert sich Seawater stets um die Technik, Fütterung und Wartung. Der Partner vor Ort um den Verkauf. Im Moment werden die Jungfische aus dem Ausland importiert: „Aber wir planen auch langfristig eigene Brutanstalten mit Setzlingen“, sagt Ackermann.
Angesprochen auf die Nachhaltigkeit verweist sie auf die geringen Parameter beim Wasser- und Stromverbrauch. „Und lange Transportwege fallen weg, wir fischen nur frisch, was bestellt wurde. Wir haben den Anspruch, die Fischzucht so ressourcenschonend und tiergerecht wie möglich zu gestalten.“
Optimiert werden muss noch das Futtermittel
Bedenklich ist allerdings die Tatsache, dass der Meeresfisch mit Fischmehl gefüttert werden muss, was weiterhin den Druck auf freilebende Fischbestände erhöht. „Mit einem Futterkoeffizient von 1,2 haben wir mit den besten Wert, den es in der Branche gibt“, erklärt Ackermann. Das heißt: Damit ihre Tiere ein Kilo Fleisch ansetzen, brauchen sie 1,2 Kilo Futter. „An dem Thema Futter bleiben wir dran und bahnen gerade Forschungsmittel dafür an. Aber als kleines Start-up können wir natürlich nicht von Anfang an die komplette Wertschöpfungskette selbst abdecken.“ Wahrscheinlich wird es spätestens dafür eine neue Finanzierungsrunde geben müssen.
www.seawatercubes.de + www.seawaterfish.de (für private Kunden)
Häufig gestellte Fragen zur Anlagentechnik und zum Franchise-Angebot
Zur Geschichte des Firmenstandorts im historischen Ausbesserungswerk Saarbrücken-Burbach
Titelbild: Das Seawater-Gründungsteam: Christian Steinbach, Carolin Ackermann, Kai Wagner (von links nach rechts)
Fotos: Seawater Cubes GmbH
Auch interessant …
fish international 2020
Auf der wichtigen europäischen Fischmesse „fish international“ in Bremen sprachen wir mit Entscheidern führender Fisch- und Seafood-Anbieter über die Rolle, die Nahrung aus dem Meer heute und in Zukunft spielt.
Speisekammer Natur
Unwissenheit schützt vor Raubbau nicht. Schön, wenn der Mensch sich regional ernähren will und zum Angeln und Sammeln in die Natur geht. Blöd nur, wenn er dort alles kaputtmacht, was er vorfindet.
Mit Algen und Raps für den Klimaschutz
Seit Jahrhunderten wächst der Hunger des Menschen auf Fleisch und andere tierische Produkte. Je mehr Tiere wie Rinder, Schafe und Ziegen aber für die Herstellung von Fleisch- und Milchprodukten gezüchtet werden, desto mehr Methan gelangt in die Atmosphäre. Eine Lösung für das Methanproblem ist eine überwiegend vegetabile Ernährung. Dass es aber noch eine zweite Lösung gibt, ist neu.