Mit Planted macht das Kochen Spaß …
… findet Spitzenkoch Tim Raue und serviert seinen Gästen jetzt vegane Hühnerbrust.
Von Jan-Peter Wulf
Tiere von den Tellern nehmen
Es ist ja auch keine normale Hühnerbrust, sondern eine vegane. Hergestellt aus Gelberbse und Öl und sie kommt von Planted, einem erst sein 2019 bestehenden Unternehmen, eine Ausgründung der ETH in Zürich. Es ist eines dieser jungen, hippen Food-Startups mit cooler, farbenfroher Webseite und mit einer klaren Mission: Die besten Fleischersatzprodukte der Welt herstellen. Man wolle „die Tiere von den Tellern nehmen“ und „geilen Geschmack mit natürlichen Zutaten erzeugen“, sagt Pascal Bieri, einer von vier Gründern des mittlerweile auf über 200 Mitarbeiter angewachsenen Unternehmens.
Nicht nur weil Planted heute seine neueste Entwicklung, die vegane Hühnerbrust, einem Mix aus Fachjournalist*innen, Foodies und Influencer*innen mitsamt einer GNTM-Finalistin präsentieren darf, ist es ein besonderer Tag für das Unternehmen. Vormittags sendete man an die Presse die Info aus, dass die zweite Finanzierungsrunde steht: 70 Millionen Euro bekommt Planted von einer Gruppe, die vom US-Investor L Catterton bis zum Schweizer Nationaltorhüter Yann Sommer reicht, der gerne kocht, wenn er nicht im Tor steht, und sogar schon ein Kochbuch rausgebracht hat.
Pflanzenfleisch: klein, aber dynamisch
Planted bewegt sich in einem sehr dynamischen Markt: In Westeuropa (Belgien, Deutschland, Frankreich, Liechtenstein, Luxemburg, Monaco, Niederlande, Österreich und der Schweiz) boomt der Umsatz mit pflanzenbasiertem Fleisch regelrecht. Laut „Euromonitor“ betrug er 2021 in dieser Region 2,3 Mrd. Euro. Fast 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Weltweit sind es 5,2 Mrd. Euro, ein Plus von 17 Prozent gegenüber 2020. Was im Verhältnis zum konventionellen Fleischmarkt, der 2022 weltweit zum ersten Mal mehr als eine Billion Euro umsetzt, winzig ist, aber eben auch wächst.
Tim Raue will in diesem neuen Markt mitmischen. Aktuell spielen vegane Gerichte im Ensemble seiner Restaurants – neben dem „Tim Raue“ gehören dazu u.a. die Villa Kellermann (zusammen mit Günther Jauch) in Potsdam und die Brasserie Colette by Tim Raue in Berlin, München und Konstanz – zwar noch eine marginale Rolle. Doch das werde sich bald ändern, glaubt er: „Bei Menschen bis 30 Jahre sind es schon 50, wahrscheinlich sogar 60 Prozent, die sich flexibel (heißt: auch vegan-vegetarisch, Anm. d. Red.) ernähren. Du kannst also den Weg mitgehen und auf die Produkte einwirken. Oder du stehst halt vorm Kühlregal und musst dich entscheiden, was du dir kaufst. Und das hat mir noch nie gereicht.“
„Alles industrieller Scheiß“
Weswegen er sich, als er vor drei Jahren vegane Menüs im Restaurant Tim Raue einführte, mit Fleischersatzprodukten zu beschäftigen begonnen habe, berichtet er beim Lunch. Gemüseküche, für die er sicher keine industrielle Hilfe braucht, alleine reiche nämlich nicht: „Das macht nicht satt. Du brauchst Proteine.“ Alles, was ihm dann an Alternativen begegnete, sei „mit industriellem Scheiß“ gefüllt: Verdickungsmittel, Bindemittel, Klebemittel. Man müsse sich ja nur die Rückseite der Produktverpackungen anschauen, was da alles aufgelistet ist. Allein Planted habe ihn überzeugt, weil das Unternehmen einen anderen Weg gehe. Seitdem ist er ein Fürsprecher des Food-Startups und hat u.a. ein veganes Pekingenten-Rezept mit den Schweizern entwickelt.
Bis dato macht Planted Produkte, die eher für den Casual-Food-Bereich zugeschnitten sind. Etwa ein veganes Schnitzel Wiener Art, Kebap, Pulled Pork oder Güggeli. Das nur ein paar Minuten entfernte Restaurant Borchardt verkauft schon etwa 15 Prozent seiner Kernkompetenz Schnitzel in Form der veganen Variante aus der Schweiz. Planted gibt’s als Snack an Schweizer Tankstellen und mit einem Wie-Chicken-Wrap sowie einem Teriyaki-Gericht seit März im ICE-Bordrestaurant.
Fermentation formt
Eine Hühnerbrust im Ganzen ist nun der nächste Schritt. Per Nassextrusion aus Proteinmehl, Wasser und Öl mit viel Wasser einen heißen Teig herzustellen, der dann mit Druck und Kühlung eine faserige Textur bekommt, weil die Proteine sich in Strängen verbinden, damit ist die bisherige Range so gut aufgegangen, dass man – anders als so mancher Wettbewerber – auf Bindemittel und Stärke verzichten kann. Eine Hühnerbrust zu formen, ist aber noch mal ein ganz anderer Schnack. Dafür wendet man Bio- bzw. Proteinstrukturierung an.
Wie genau, das bleibt Firmengeheimnis. Wie schade. Pascal Bieri lächelt uns nur vielsagend an, als wir ihn zum Verfahren befragen. Im Prinzip jedoch, lässt er durchblicken, sei es ein uraltes: Fermentation. Die hergestellte Masse gibt man in Hühnchenbrust-Formen, in diesen reift bzw. fermentiert sie und erhält ihre geschichtete, aber feste Struktur, die beim Aufschneiden des gegarten Produkts ein bisschen aussieht wie ein Artischockenherz. „Es ist also kein Continuous-Flow-, sondern ein Batch-Prozess“, führt Bieri fort, als spräche er über einen handwerklich hergestellten Whisky; gut, ist ja auch ein Fermentationsprodukt. Das Ergebnis seien stabile Faserungen, die auch noch drei Stunden Currykochen noch aussehen wie Hühnchenfleisch, erklärt er. „Die Natur ist der Best Practice, an ihr müssen wir uns orientieren.“
Hühnerbrust Version 1.1
Und man sei noch lange nicht am Ende der Entwicklung. Die Hühnerbrust auf unserem Teller ist Version 1.1, davon wurden bis dato nur wenige Kilogramm produziert, während die Maschinen in der Planted-Fabrik auf jenem Gelände in Kemptthal, auf dem früher Maggi seine Bouillon herstellte, schon eine Tonne der Casual-Produkte pro Stunde schaffen. Bald fahre man die Mengen aber hoch, erklärt Bieri uns. Tim Raue freut sich sehr darauf, dass es nun endlich losgeht. Planted habe wegen seines langsamen, natürlichen und auf künstliche Beschleuniger verzichtenden Prozesses wesentlich länger gebraucht als andere Player am Markt, aber das zahle sich aus seiner Sicht nun aus – mit einer Hühnerbrust, die auch in der Spitzengastronomie, und nicht nur in seinem Zwei-Sterne-Restaurant, ihren Platz finden soll. Bieri: „Wir sind in einem Markt unterwegs, in dem wir uns ständig selbst technologisch überholen. Hoffentlich sitzen wir hier in zwei Jahren und haben ein veganes Steak vor uns, das Fettschichten durchzieht.“
Wir kommen gerne wieder. Denn, die nicht ganz unerhebliche Info sind wir den Lesenden noch schuldig: Die vegane Hühnerbrust von Planted kann was. Die Optik ist verblüffend, die Textur an der Gabel und im Mund ebenso. Bissfest, aber nicht faserig, eher saftig. Nein, sie schmeckt nicht eins zu eins wie eine aus Fleisch, aber gut. Leicht getreidig, doch nicht zu präsent, und in der Kombination mit aromatischen Saucen und Gemüse auf dem Punkt (der Brokkoli: zum Niederknien) ist es eine recht runde Sache. Und, das ist der Unterschied zum heutigen Benchmark Echtfleisch: Es wird wohl immer besser werden.
Fotos: Planted Foods AG