Markthalle Neun

Kritik an der Grünen Woche

Die Markthalle Neun, Role Model und Berliner Sehnsuchtsort für landliebende Städter, übt massive Kritik an der Grünen Woche 2020. Ist das Bashing berechtigt?

Im regelmäßigen Newsletter der Markthalle Neun vom 24. Januar 2020 teilt die Redaktion mal so richtig aus. Lest zunächst den Wortlaut des Beitrags:

Grüner wird’s nicht: Anmerkungen zu einer Berliner Agrarmesse
Die Graue Woche

Es gibt so genannte Industriemessen. Die Hannover Messe oder die IAA sind eben solche. Klar. Nun, wir werden wohl künftig dazu übergehen, auch die Internationale Grüne Woche eine Industriemesse zu nennen. Oder was hat eine vegane Wurst von Nestlé, Markenname Garden Gourmet (the „incredible Wurst“), noch mit Landwirtschaft zu tun? Kurzum: Die Grüne Woche 2020 wird in der Chronik dieser ohnehin schon lange eigenartig naturfernen Veranstaltung als jene benannt werden müssen, auf der sich gerade die globalen Konzerne zu einer sogenannten Nachhaltigkeit bekannt haben, und doch weitest entfernt von dieser waren. Auf der Slogans wie vegan, vegetarisch, naturnah zu Industrieprodukten verkamen. Überall nur noch radikal verarbeitete Lebensmittel. So etwas wie „Käse“ beispielsweise – aus Mandelproteinen. Und dabei geht es den Großkonzernen, die Rügenwalder Mühle hat es vorgemacht, nicht einmal um einer andere Ernährung, sondern schlicht eine noch einmal günstigere Produktion.
Das es auch anders geht und noch wichtiger, dass viele wollen, dass es eben anders gehen soll, zeigt derweil diese Zahl: Nach Angaben der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) lag der Gesamtumsatz der regionalen Bio-Branche im vergangenen Jahr bei 580 Millionen Euro, im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von zehn Prozent. Die Nachfrage scheint also da. Das Nachfragen und Nachdenken auch. Bis dahin, also bis zur Ernährungswende, sollten wir uns an einen Satz von Michael Pollan halten: „Esse nur Dinge, die Deine (Ur-)Großmutter auch als Lebensmittel erkannt hätte.“ Radikal verarbeitete vegane Currywürste zählen wohl eher nicht dazu.

Soweit die Redaktion des Markthalle Neun Newsletters. Wir meinen: Nicht falsch, aber zu kurz gedacht. Ohne Frage sind die Macher und Vordenker der Markthalle Neun grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Das gilt für ihre vorbildliche Arbeit im Namen des „Anders-Essens“, das Bekenntnis zu lokalen und regionalen Erzeugern und das gastronomische Angebot gleichermaßen.

„Anders Essen“ wird zukünftig kleinteilig und divers sein müssen, sollte jedoch auch Versuche der „bösen“ Großindustrie umfassen, auf den rollenden Zug aufzuspringen. Ein Angebot der großen Lebensmittelproduzenten an pflanzlichen Alternativprodukten und Fleischalternativen kann man wegen ihrer Marktmacht und Durchsetzungskraft im Supermarktregal schlechterdings nicht ausschlagen – da bewirken sie im Mainstream vermutlich mehr als dutzende sympathischer Start-ups, deren Namen und Produkte kaum jemand je kennenlernen wird.

Die vegane Wurst oder der zitierte Käse haben mit Landwirtschaft insofern zu tun, als die Hülsenfrüchte oder die Mandeln für die Rohmasse schon auf irgendeinem Feld gewachsen sein müssen – auf Nachfrage kritischer Verbraucher sollte die Antwort tunlichst „bio“ lauten. Wenn daraus Produkte entstehen, wegen denen keine Tiere geschlachtet oder ausgebeutet werden, ist das zunächst mal gut. Dass Unternehmen schönfärberische Marketing-Slogans benutzen und an ihren Produkten möglichst viel verdienen wollen, nennt man Kapitalismus, so what.

Nichts spricht dagegen, dass eine Erfolgsformel der zukünftigen Ernährung der Mix aus sauber großindustriell erzeugten Nahrungsprodukten und ebenso sauber produzierten lokalen und regionalen landwirtschaftlichen Lebensmitteln sein könnte.

Natürlich wollen wir ein Umdenken und einen damit verbundenen Systemwechsel – wenn der gedankenlose Minutensteakesser ab und zu mal in einen veganen Burger beißt, ist schon viel gewonnen.

www.markthalleneun.de

Siehe vertiefend hierzu auch ein Interview aus dem November 2019 mit dem Wirtschaftsethiker Nick Lin-Hi von der Universität Vechta.

Peter Erik Hillenbach

Peter Erik Hillenbach

Autor, Gründer ECO BEACH

Peter Erik Hillenbach ist Gründer von ECO BEACH und Chefredakteur führender bundesweit erscheinender gastgewerblicher Fachmagazine.