„Wir sind Handwerker, keine Rockstars!“

Ein Porträt des Hamburger Restaurants Klinker, in dem Gastronomie neu gedacht wird.
Von Carina Alves

Die Leuchtreklame der ehemaligen Kegelbahn gibt es noch. Alles andere ist neu im modernen Wohlfühl-Lokal mitten im Herzen Hamburgs, dem Restaurant Klinker. Marianus von Hörsten (links im Bild), der als bester Jungkoch der Welt gilt, und sein Kompagnon Aaron Hasenpusch (ganz rechts) haben sich hier zusammen mit Restaurantleiterin Claudia Steinbauer (Zweite von links) verwirklicht. Unter anderem in der Berliner Cordobar und im legendären Borchardts sammelte Claudia jahrelang Erfahrung in der Gastronomie – und die bringt sie nun im Hamburger Restaurant mit ein. Damit komplettiert sie das Gastgeber-Gespann. Das gemeinsam entwickelte Klinker-Konzept der Reduktion auf das Wesentliche – Gastfreundschaft, gutes Essen, hervorragende Getränke und ein starker Gemeinschaftsgedanke – folgt absolut dem Zeitgeist und wird vom Hamburger Publikum entsprechend angenommen.

Restaurant Klinker

Simpel, aber liebevoll: Das Klinker steht für zeitgemäße Gastfreundschaft

Restaurant Klinker

Weltbürger-Cuisine: Ochsenravioli, geschmorte Rote Bete, Schmand und Thaipfeffer

Restaurant Klinker

Ein kleiner Verweis auf die ganz großen Namen im Gastgewerbe sei gestattet …

Gemeinschaft vs. Rampensau

Die beiden (quasi) Hamburger Jungs, Marianus und Aaron, haben sich in Berlin kennengelernt. Beide waren in Restaurants von Tim Raue beschäftigt. Schnell war der Entschluss gefasst, gemeinsam etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Nicht auf blauen Dunst, versteht sich, erst mal wollten sie ihre Ideen erproben. Dafür gründeten sie zusammen mit Frederica Ganzer die mobile Küche Tabula Rasa. Der Name macht bereits deutlich, dass Marianus und Aaron es anders angehen und mit der Gastronomie, wie sie sie bislang erlebt hatten, aufräumen wollten. Reinen Tisch machen, wenn man so will. Keine 22-Stunden-Schichten mehr, keine Kompromisse bei der Qualität der eingesetzten Lebensmittel und vor allem ein fairer, zwischenmenschlicher Umgang mit Kollegen und Gästen. Mehr wir, statt ich. Mehr voneinander profitierende Gemeinschaft als alleinkämpfende Rampensau.

Nach ihren ersten gemeinsamen Erfahrungen nehmen sie die Gelegenheit wahr, ihr Konzept in einem Pop-up-Restaurant weiter zu erproben. Schon bald war die Entscheidung für ein eigenes Restaurant gefallen. Acht lange Monate dauerte es dann noch, bis die Umbaumaßnahmen abgeschlossen und alle notwenigen Genehmigungen sowie Konzessionen eingeholt waren. Im Sommer 2019 konnten sie dann endlich die Pforten zum eigenen Lokal Klinker öffnen.

Potpourri der Weltbürgerküche

Das Publikum im Klinker ist für Hamburger Verhältnisse ungewöhnlich bunt gemischt. Von Studenten auf der Suche nach kulinarischen Neuigkeiten aus der Hansestadt über Schauspieler oder junge Kreative aus der Medienbranche bis hin zu Rechtsanwälten, Architekten oder dem Koch aus der Nachbarschaft, der nach Feierabend an der Bar sein Gläschen Wein trinkt, finden im Klinker alle ihr Plätzchen. Es sind vor allem Ortansässige, die für ein lauschiges Beisammensein unter Freunden einkehren. Manche nur auf ein Bier, andere, um die mondial interpretierte Regionalküche gemeinsam zu genießen. „Für uns ist Essen ein hochkultureller, gemeinschaftsstiftender Akt“, sagt Aaron Hasenpusch. Er und seine Kollegen wollen endlich mit den Vorurteilen vom hochwertigen Essen(-gehen) brechen.

So wird im Klinker einfach das serviert, was der Crew am besten schmeckt. Backfisch aus dem Bierteig mit einem frischen Gurkensalat und selbstgemachter Mayonnaise steht entsprechend neben fermentiertem Ochsenherz vom Holzkohlegrill zum süß-sauren Salat und Sauce gribiche auf der Karte. Es ist ein wildes Potpourri der Weltbürgerküche, ein Spagat zwischen klassischen und kreativen Gerichten – kurzum: die Gäste des Klinkers erwartet ein einziges Überraschungspaket.

Die Karte, auf der je Gericht nur die Hauptkomponenten aufgeführt sind, verstärkt den Eindruck. Das hat Methode. „Wir wollen unseren Gästen auf charmante Art die Angst vor ungewohnten Lebensmitteln nehmen. Deshalb steht statt ‚Entenherz‘ also ‚Ente‘ auf der Karte“, erläutert Claudia Steinbauer, die als erfahrene Restaurantleiterin wesentlich zur viel gelobten Gastfreundschaft beiträgt. „Die Kollegen aus dem Service klären am Tisch aber auf. Sechs von zehn Gästen wählen dennoch das Gericht und wagen sich an etwas Neues heran.“

Freie Wochenenden und Wertschätzung füreinander

Anfang des Jahres hat das Klinker-Team seine Öffnungszeiten angepasst. Unter der Woche, also von Montag bis Freitag, können die Gäste ausgelassen schlemmen, schnacken und das Schauspiel in der offenen Küche beobachten. Am Samstag und Sonntag bleibt die Küche kalt. „Die Gäste haben das am Anfang nicht verstanden, fanden es sogar arrogant“, berichtet Aaron. „Wir haben ihnen erklärt, warum wir uns dazu entschlossen haben. Jetzt stellen sie sich einfach darauf ein.“ Den Benefit wissen aber vor allem die Mittarbeiter zu schätzen. Das Drumherum einer Arbeitsstelle wollen die Klinkers so angenehm und vor allem so normal wie möglich gestalten. Gute Ansätze, um wieder mehr Menschen für die Gastronomie zu gewinnen.

Nicht nur die Arbeitszeiten sind arbeitnehmerfreundlich, auch die Bezahlung ist fair. Das gilt ebenso für die Abrechnung mit den Lieferanten und den landwirtschaftlichen Partnern. „Wenn das Hühnerei gerade 42 Cent kostet, weil durch einen heißen Sommer die Getreideernte vertrocknet ist und Futter zugekauft werden muss, dann ist das eben so. Das geben wir auch an die Gäste weiter“, sagt Aaron Hasenpusch. „Die Verantwortung tragen wir doch gemeinsam!“, betont er noch. Mehr Miteinander also auch hier. Respekt, Verständnis und Wertschätzung füreinander.

Selbstverständlich nachhaltig!

Ganzheitlich nachhaltiges Handeln ist ein wesentlicher Bestandteil des Klinker-Konzeptes. „Nachhaltigkeit bedeutet für uns rechtzeitig nachzudenken und am besten in allem so zu handeln, als würde einem die Welt selbst gehören“, betont Aaron Hasenpusch. Nachhaltigkeit ist für ihn und Marianus nicht nur Trendthema, sondern Bestandteil der Lebensgrundlage.

Marianus’ Eltern betreiben in der Lüneburger Heide einen Demeter-Betrieb und vor allem sein Vater Hubertus half den Junggastronomen, ein Netzwerk an regionalen Lieferanten aufzubauen. „Wir verstehen den Hof Wörme als das Epizentrum unseres Schaffens, hier hat alles erst richtig angefangen“, führt Aaron aus. „Durch Hubertus‘ Netzwerk hatten wir gleich einen anderen Einstieg in die Lieferanten- und Produzentenstruktur. Dass wir über ihn die Landwirte, mit denen wir arbeiten, persönlich kennen, ist für unser Restaurantkonzept Gold wert.“

Demeter-Hof ist Epizentrum des Schaffens

Das Team vom Hof Wörme brauchte etwas, um sich an die neue Art der Zusammenarbeit zu gewöhnen. „Die Lieferung muss mit der Laufzeit der Karte korrespondieren. Das müssen wir erst mal üben“, so Landwirt Hubertus von Hörsten. „Marianus fragt immer, was es Neues gibt und bekommt dann kleinere Mengen zum Testen.“ Was gut läuft, bleibt. Wie zum Beispiel das Kartoffel-Walnuss-Brot aus der eigenen Bäckerei, das im Klinker zur Vorspeise gereicht wird. „Das sind aktuell noch Mengen, die wir schnell mal eben mitmachen können“, sagt Hubertus von Hörsten. Bei größeren Mengen müsste aber bereits beim Anbau und bei der Ernte die Karte des Restaurants bedacht werden.

Trotz aller Überlegungen im Vorfeld kann die Natur Koch und Landwirt dennoch einen Strich durch die Rechnung machen. „Die Herausforderung besteht dann darin, mit dem zu arbeiten, was gerade da ist, und das ist gar nicht so einfach. Aber das macht den Künstler am Herd ja aus“, weiß der Demeter-Landwirt. „Es gehört einiges an Mut, ein gutes Händchen und eine große Klappe dazu, ein Restaurant nach solch starken Prinzipien zu führen, wie Aaron und Marianus das tun“, sagt Hubertus von Hörsten. Aktuell beliefert er neben dem Klinker auch das HACO von Björn Juhnke und das Wolfs Junge von Sebastian Junge.

Gemeinschaft der Gastronomen

Die Kochkollegen zählen zu einem jungen Hamburger Kollektiv von nachhaltig arbeitenden Köchen, die sich gerade zusammen finden. Weitere Mitstreiter sind Thomas Sampl von der Hobenköök, Thomas Imbusch vom 100/200 und Maurizio Oster vom Zeik. „In der Gemeinschaft lässt sich mehr bewegen, als wenn jeder sein Süppchen kocht“, beton Aaron Hasenpusch. Er gehört bereits der Berliner Organisation Die Gemeinschaft an. Mit den Hamburger Kollegen soll es eine Art norddeutsche Delegation geben, in der man sich gegenseitig unterstützt und miteinander den Austausch pflegt. „Gastronomie bietet Raum für Diskurs und Diskussion und hat durchaus auch abseits der Politik Einfluss“, ist Hasenpusch überzeugt. „Wir wollen den Leuten da draußen etwas zum Nachdenken mitgeben.“

Obwohl große Ambitionen das Hamburger Kollektiv antreiben, wünscht sich der junge Gastronom mehr Bodenständigkeit und Bescheidenheit von der Branche. „Wir sind Handwerker, keine Rockstars! Daher sollten wir uns einfach selbst nicht so ernst nehmen. Es gibt Wichtigeres zu tun.“

www.restaurant-klinker.de

Gleich im Anschluss lesen: Das Interview mit Aaron Hasenpusch vom Restaurant Klinker über den Umgang mit dem Corona-Lockdown, die Arbeit auf dem Bauernhof und die Zeit „danach“.

Dieser Beitrag erschien bereits auf Carinas Seite Gröön Schnack und wurde ursprünglich für das Fachmagazin Küche verfasst.

Fotos: Volker Renner