„Wir haben die Chance, die Dinge neu zu mischen“

Konrad Geiger, Präsident der Euro-Toques Deutschland, über die Macht von 20.000 Köchen in Brüssel, die Professionalisierung regionaler Erzeugernetzwerke und basische Ernährung.

Konrad Geiger ist Präsident der Köchevereinigung Euro-Toques Deutschland e. V., selbstständiger Gastronomieberater und Bio Consulter und Mitgründer des Future-Food-Start-ups Ella’s Basenbande.

Mit ihm haben wir darüber gesprochen, wie eine Strategie für eine gastronomische Neuausrichtung nach Corona aussehen könnte: Sollte ich meine Lieferketten überdenken? Muss ich Bio werden? Reicht es, strikt saisonal und regional kaufen? Auch auf die Gefahr hin, dass nicht alle Produkte in ausreichenden Mengen für meinen Betrieb verfügbar sind?
Nun ist Gastronomieberatung in Corona-Zeiten ein schwieriges Geschäft. Von Chancen in der Krise will momentan vielleicht nicht jeder etwas hören, der ums Überleben kämpft. Geiger denkt dennoch bereits an die Zeit danach – und er denkt groß und europäisch. Interview: Peter Erik Hillenbach

Coronazeit = Krisenzeit: Welche Hilfestellung konntest Du als Präsident der Euro-Toques Deutschland Deinen Mitgliedern leisten?

Das waren von Anfang an viele Telefonate, da ging es auch um seelische Unterstützung. Gleichzeitig habe ich mich unverzüglich mit den entsprechenden Ministerien vernetzt und sehr schnell deren Hilfspakete und Sofortmaßnahmen auf unsere Homepage und auf unsere Facebook-Seite gesetzt – eben alles veröffentlicht, was von Relevanz ist und unseren Mitgliedern Hilfestellung leistet. Soviel zum deutschlandweiten Teil.

Und international?

Ich übernehme in diesem Jahr die Präsidentschaft der europäischen Euro-Toques mit Sitz in Brüssel. Aus dieser Position heraus habe ich für Mitte Juni einen Termin mit Sarah Wiener vereinbart, die ja seit einem knappen Jahr als Vertreterin der österreichischen Grünen als Abgeordnete im Europaparlament sitzt. Es geht um die Farm-to-Fork-Strategie, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Teil des Green Deals verabschiedet hat.

Wie hängt das mit der gegenwärtigen Krise zusammen?

Ich habe auf der Intergastra mit verschiedenen Verbänden gesprochen, VKD, Jeunes Restaurateurs, Culinary Ladies – alles Verbände, die in die gleiche Richtung denken wie wir und die gleichen Probleme haben. Natürlich brauchen wir sofortige Unterstützung in der Krise, aber wir sollten unsere Ziele im Auge behalten und vielleicht finden wir einige Ansätze, die dazu führen können, dass diese Ziele mittel- und langfristig erreicht werden.

Es reden alle von großen Hilfspaketen, die da geschnürt werden, es geht um große Summen. Nur: Die Hand raushalten und abwarten, dass man was davon abkriegt, wird nicht funktionieren. Vielmehr: Welche Konzepte können wir jetzt schon entwickeln und vorschlagen, damit wir relativ schnell an diese Mittel kommen? Wir brauchen kurzfristig Gelder, um mittel- und langfristig Konzepte entwickeln zu können.

Was wären denn Beispiele für solche Strategien?

Wie bauen wir regionale Netzwerke auf? Wie forcieren wir die Bio-Erzeugung? Wie können Erzeugergemeinschaften zusammenkommen? Wie können wir gewährleisten, dass die auch lieferfähig sind und die Anforderungen im Einkauf oder die Compliance-Regeln der großen Kantinen erfüllen, damit die nicht immer komplett über den Großhandel gehen?

Lassen sich die Lieferketten regionaler Netzwerke denn weiter professionalisieren?

Ich erzähle mal, wie es in der Vergangenheit war: Damals, vor etwa 20 Jahren, musste in der Spitzengastronomie alles aus Frankreich kommen. Wenn man aber durch die heimischen Spargel- oder Kartoffelfelder fuhr, dachte man sich: Das kann doch nicht sein, dass das alles nichts wert ist. Aber klar: Diese Produkte waren für die deutsche Gastronomie nicht über den Handel zu bekommen. Man musste also selbst rausfahren zu den Bauern, mit den Leuten reden, ihnen die Ängste nehmen, dass man nicht nur kalibrierte Ware haben will.

Ich habe in der Vergangenheit mehrere Wege bespielt. Als ich vor Jahren mit einem Bio-Cateringbetrieb 6.000 bis 7.000 Schulessen am Tag produziert habe, konnte ich entweder direkt mit meinen 15 bis 20 Lieferanten sprechen und mit denen vereinbaren, was ich genau brauche. Das war sehr aufwändig. Oder ich habe alternativ auf eine Bündelung gesetzt und den Großhändler vor Ort dazu gebracht, statt meiner mit den Lieferanten zu verhandeln und dabei auch kleinere Erzeuger bei sich zu listen. Das ist ein gangbarer Weg, sich regional mit den benötigten Mengen zu versorgen – und ein Ziel für die Zeit nach der Krise. Denn viele Menschen leben gerade bewusster und hinterfragen die Lieferketten und woher ihre Produkte kommen. Da setzen wir an, die Zeit ist genau richtig.

Und diese Ansätze und Forderungen werden Gehör finden?

Wir können auf die Politiker in Brüssel warten, bis die das durch alle Instanzen bearbeitet haben – oder wir Köche fangen einfach an! Nach der Krise haben wir die Chance, die Dinge neu zu mischen. Und wenn wir gemeinsam Regionalität verlangen, dann wird der Handel das listen und dann sind wir da, wo wir sein müssen. Wir als kleine Gastronomen und Köche können ziemlich viel ausrichten – wir haben im letzten Jahr 120 Milliarden Euro in der Gastronomie umgesetzt, fast vergleichbar mit den 160 Milliarden, die der Handel mit dem Endverbraucher umgesetzt hat. Das ist kein Pappenstiel!

Wenn Du Erzeuger und Abnehmer – ob Köche, Gastronomen oder Konsumenten – auf direktem Wege miteinander koppelst, hebelst Du damit den Handel aus …

Ich will den Handel nicht ausschalten. Mit Bio-Kontor 7 habe ich 6.000 Essen am Tag zubereitet: regional, saisonal, Bio aus Bayern. Wenn ich ein Jahr im Voraus bei der Jahresplanung mit dem Bauern eine Tonne samenfeste Rodelika-Karotten vereinbart habe und er konnte nur 850 Kilo liefern, kam der Rest eben über den Großhandel.

Anderes Beispiel: Ich saß im November mit mehreren Erzeugern zusammen und habe für das kommende Jahr Länderrezepte als Hausaufgabe vergeben. Macht Euch Gedanken über den Winter, habe ich ihnen gesagt, wie wir nächsten Sommer das Thema Spanien oder USA bespielen. Der Käseerzeuger stellte also Manchego her, der Gemüsebauer baute Chilis an – und es war allen klar, dass sie allein meine Mengen nicht liefern konnten. Aber der Punkt ist, so konnte ich auch den Kleinen Aufträge erteilen. Für die Differenz brauchte ich den Großhandel.

Wäre das auch eine gute Strategie für die Gastronomie?

Natürlich. Gerade jetzt, wo die Restaurants geschlossen sind, überdenkt manch ein Kollege sein Konzept und überlegt, wie er am besten auf Bio oder regional umstellen kann. Wenn die Leute wieder rausdürfen, werden sie in der Mehrzahl im Land bleiben und in Deutschland Urlaub machen – und ein ungeheures Interesse an allem Regionalen entwickeln.

Aber von heute auf morgen kann niemand auf Bio umstellen …

Ich rate den Kollegen immer, keine hundertprozentigen Sprünge zu machen. Die Umstellung auf Bio braucht zehn Jahre, und die Landwirtschaft hätte Probleme, aus dem Stand die benötigten Mengen und Qualitäten zu liefern. Deshalb sollte man mit einer Produktgruppe anfangen, zum Beispiel mit Molkereiprodukten, und erst dann die nächste in Angriff nehmen.

Du setzt auf basische Ernährung und gibst Workshops für Köche, in denen Du Warenkörbe definierst. Wie hängt das zusammen?

Wenn man, das gilt natürlich auch für Privatpersonen und nicht nur für Speisekarten, zu 80 Prozent auf basische Ernährung setzt und zu 20 Prozent auf gesunde Säure, dann ist man gedanklich schnell bei ökologischen Fragen: Zweimal die Woche Fleisch oder Fisch, ansonsten pflanzenbasierte Ernährung und Pflanzenproteine. Wenn ich das in der Gemeinschaftsverpflegung umsetze, etwa im Krankenhaus, habe ich eine Win-Win-Situation, denn das Essen ist nicht nur preiswerter, sondern auch gesünder.

Diese Erkenntnis steckt in den Köchen bereits drin! Das sehe ich, wenn ich mit ihnen über Warenkörbe diskutiere und frage: Woher holen wir das Gemüse? Aus einem Umkreis von 100, 200, 500 Kilometern? Und sie sagen: Nein, 80 Kilometer maximal. Und dann ist man fast automatisch schon bei der Bio-Frage und flugs gehen die Wünsche in Richtung Rezeptprozesse, Rohstoffprozesse, Einlistungen – und dann ist es verankert. Es ist schon in den Köpfen drin, es muss nur getriggert werden. Man braucht eigentlich nur den Schlüssel.

Können Verbände wie die Euro-Toques diese Entwicklung forcieren? Ist das Bohren dicker Bretter also die richtige Methode?

Ich bin selbst kein Politiker – aber Politiker brauchen Menschen, die ihnen die Themen zuspielen. Allein sind wir viel zu klein, deshalb kooperieren wir mit anderen Verbänden. Mancher mag belächeln, was sich Sarah Wiener gemeinsam mit Martin Häusling, EU-Fraktionsvorsitzender der Grünen, vorgenommen hat. Aber das sind sozusagen „unsere“ zwei Sitze im EU-Parlament, und deshalb muss man dort auch präsent sein. Beispiel Glyphosat: Wir als Gastronomen wollen es total verpönen. Dem Handel ist es wurscht, woher die Produkte kommen, solange es der Kunde kauft. Wenn wir Verbände aber sagen, wir akzeptieren das nicht, und alle sprechen mit einer Stimme, dann sind wir nicht nur 200 Euro-Toques, sondern fünfzehn- oder zwanzigtausend Köche und Gastronomen. Und das hat natürlich eine ganz andere Gewichtung.

Über Konrad Geiger

Konrad Geiger, 51, ist Gastronomieberater, Bio Consulter und Mitgründer des Start-ups Ella’s Basenbande. Er berät Gastro-Projekte auf ihrem „Weg zum Genuss“ von der ersten Idee bis zum Markteintritt, von der Rezeptentwicklung bis zum Qualitätsmanagement, und unterstützt sie bei einer Erweiterung oder Restrukturierung.
www.bio-consulter.de
www.basenbande.de

Über Euro-Toques

Die europäische Köche-Vereinigung Euro-Toques wurde 1986 gegründet und hat ihren Sitz in Brüssel. Sie unterstützt handwerkliche Erzeuger, erhält die kulinarischen Traditionen Europas und propagiert in einem Ehrenkodex den verantwortlichen Umgang mit Lebensmitteln.
Der deutschen Sektion steht Konrad Geiger als Präsident vor.
www.euro-toques.de

Fotos: Euro-Toques, Ella’s Basenbande